Die AZ-Kritik zum neuen Kinofilm Hacksaw Ridge von Mel Gibson

Man kann Zuschauer und Kritiker so lange durch den Fleischwolf drehen, bis sie jegliche Distanz aufgeben. Mel Gibson – hassgeliebter Egomane und Blockbuster-Außenseiter Hollywoods – macht so etwas. Hat Francis Ford Coppola noch 1979 über seinen Kriegsfilm "Apocalypse Now" gesagt, "dieser Film ist nicht über Vietnam, er ist Vietnam", könnte Gibson nun dasselbe über den Pazifikkrieg sagen, nachdem er "Hacksaw Ridge" in die Kinoschlacht geworfen hat. Sicher mit weniger intellektuellem Anspruch und weniger Kunstwillen als Coppola, dafür aber mit einer unfassbaren Perfektion, wie wir es bei der Darstellung von Schlachten des Zweiten Weltkriegs seit Spielbergs "Privat Ryan" von 1988 kennen.
Hier, auf den Okinawa-Inseln sterben noch 1945 120.000 Soldaten – vor allem an einem Kulminationspunkt: die dem Film namensgebende Klippe "Hacksaw Ridge". Die wiederum ist eine Steilvorlage für harte Spannung. Denn die amerikanischen Soldaten müssen hier an Strickleiternetzen nach oben und über den Klippenrand klettern, um dann oben an der Kante erst einmal schutzlos unter japanisches Feuer genommen zu werden, ehe man sich in einem Stellungs-Nahkampf meterweiser vorkämpfen kann. Von den unzähligen Schwerverletzten überlebten 75 nur, weil ein einziger Mann sie vom Schlachtfeld schleppt, schleift und zieht: Desmond Doss, der erste US-Soldat, der seinen freiwilligen Fronteinsatz durchsetzte, ohne je eine Waffe in die Hand genommen zu haben – aus christlich-religiösem Grund. Wenn nach extremen Schlachtszenen Doss am Ende total erschöpft und nur leicht verwundet auf der Trage liegend zum ersten Mal – nach allen Schocks und grausamsten Erlebnissen – Panik bekommt, dann, weil er im zerfetzenden Einschlagsinferno seine Bibel verloren hat.
Oscar-Nominierungen in einigen Hauptkategorien
Seit Dienstag ist "Hacksaw Ridge" neben Ton und Schnitt auch in den Hauptkategorien "Bester Film", "Beste Regie", "Bester Hauptdarsteller" (Andrew Garfield) oscar-nominiert. Denn der Film ist nicht nur technisch perfekt, sondern deckt auch noch politisch alles ab: Da ist einerseits der einfache Soldat aus dem Kernland Virginia und unglaubliche Kriegsheld, der das nostalgisch-patriotische Gefühl befriedigt, dass Amerika "great" war, in diesem letzten US-Krieg, den man noch als "gerecht" bezeichnen kann. Und Mel Gibsons Film zeigt das auch völlig ungebrochen.
Gleichzeitig aber ist dieser Desmond Doss konsequenter Pazifist, wenn auch nicht aus politischen Gründen, aber so das Gegenteil eines Rambo. Er kommt ohne blutige Hände aus der Schlacht, sieht man von dem Blut der Kameraden ab, denen er hilft. Der Film ist klassisch, provoziert zu Diskussionen, irritiert und bietet dennoch jedem Identifikationspotential.
Auch das ist ein Grund, "Hacksaw Ridge" einen perfekten Film zu nennen, wenn auch einen harten.
Kino: Mathäser, Cinema (OV)
R: Mel Gibson (USA, 140 Min.)