Die AZ-Kritik zu "Budapest Hotel"
Ein nostalgischer Blick zurück zur Eröffnung der 64. Berlinale: Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ lässt eine längst versunkene Welt wieder aufleben.
Stoppelfrisur, langer schwarzer Ledermantel und mordsmäßig gefährlich. So stellt man sich einen SS-Klischeekiller vor. Und genau so eine Figur verkörpert Willem Dafoe auch im wunderlich-wunderbaren Berlinale-Eröffnungsfilm „The Grand Budapest Hotel“.
Und doch irritiert dieser Jopling nicht nur wegen seinem Namen. Statt SS-Runen haften ZZ-Marken an seinem Mantel, die Zähne haben etwas von Graf Dracula und ab und zu wirft er auch mal eine weiße Katze aus dem Fenster.
Mit diesen Spleens reiht er sich gnadenlos-komisch ein in die fabelhafte Welt von Wes Anderson. Der Regisseur von „The Grand Budapest Hotel“ ist spätestens seit „The Royal Tennenbaums“ berühmt für seine skurrile Puppenhaus-Ästhetik und seine kurios-spleenigen Charaktere.
Mit seinem neuesten Werk, das in Görlitz und im Studio Babelsberg entstanden ist, hat er sich nun selbst übertroffen. Vordergründig eine abenteuerliche Schnitzeljagd voller brillanter Actionsequenzen wie einem irrwitzigen Gefängnisausbruch funktioniert seine künstlich überhöhte und künstlerisch geschlossene Komödie auch als raffiniertes Zeitporträt, in der Lodz einfach Lutz heißt und es auch sonst vor zeitgeschichtlichen Anspielungen (der an Stefan Zweig angelehnte Film spielt hauptsächlich zwischen den beiden Weltkriegen) wimmelt.
Cineasten werden sich am virtuosen Spiel mit Filmmitteln (Schwarz-Weiß, Zeitraffer, Stop-Motion, 4:3-Stummfilmformat) ergötzen, „normale“ Kinogänger an der stargespickten, rasend komischen und gegen Ende sogar bewegenden Geschichte berauschen. Im Mittelpunkt steht der Concierge Gustave (Ralph Fiennes), ein penibler Poet, der aus der Zeit gefallen scheint, den Gästen jeden Wunsch von den Lippen abliest und auch erfüllt (sei es auch ein Schäferstündchen mit einer 85-jährigen, liebeshungrigen Dame). Und weil pervertierter Perfektionismus auch einsam macht, hat Gustave nur eine wirkliche Bezugsperson: den aus dem Orient stammenden Lift Boy „Zero“.
Dass der keine Null ist, beweist er beim gewagten Diebstahl eines Renaissance-Gemäldes, das Gustave von einem seiner liebsten, aber leider verstorbenen Gäste (Tilda Swinton) vererbt bekommen hat. Wie dieses Gespann vor den Verwandten (ganz fies: Adrien Brody), die schon ihre (NS-)Zeit kommen sehen, flieht, ist so virtuos inszeniert, dass einem die Spucke wegbleibt.
Das Wasser im Mund zusammenlaufen wird sicher auch Dieter Kosslick, dem mit dieser Eröffnung seines Festivals ein Volltreffer gelungen ist. Es bleibt spannend, ob George Clooney mit seinen „Monuments Men“, bei denen auch ein Kunstraub im Mittelpunkt steht, diese Charme-Attacke am Wochenende noch toppen kann. Immerhin als Hotelgast macht der Superstar bereits von sich reden. Er hat ab morgen das ganze Soho House Hotel für sich alleine gebucht. Florian Koch