Der Unverfilmbare

Lange galt "Der dunkle Turm" als unverfilmbar: Nun schafft es das komplexe Fantasy-Epos von Bestseller-Autor Stephen King endlich als düstere Adaption auf die Leinwand.
Maximilian Haase |
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Der Junge Jake Chambers (Tom Taylor, rechts) und der Revolvermann Roland (Idris Elba) begeben sich auf die Jagd nach dem Zauberer.
2017 Sony Pictures Releasing GmbH Der Junge Jake Chambers (Tom Taylor, rechts) und der Revolvermann Roland (Idris Elba) begeben sich auf die Jagd nach dem Zauberer.
Stephen King gilt nicht nur als einer der meistgelesenen Schriftsteller der vergangenen Jahrzehnte, sondern auch als meistverfilmter Autor
der Gegenwart. Ob Thriller wie zuletzt "A Good Marriage" und "Puls" oder die James-Franco-Serie "11.22.63 - Der Anschlag": Jahr für Jahr bedienen sich Film- und Serienmacher aus Kings schier unerschöpflichem Fundus für erfolgversprechende Bewegtbild-Adaptionen. Mit einer Ausnahme: Während abwegigste Kurzgeschichten des Horror-Meisters umgesetzt wurden, traute sich niemand an das als unverfilmbar geltende größte Werk des Meisters. Dieses Tabu fällt nun: Mit "Der dunkle Turm" findet Kings achtbändiges Epos
endlich den Weg auf die Leinwand. Die anspielungsreiche Adaption lässt Komplexität und Potenzial jener düsteren Welt zwischen Fantasy, Horror und Western
jedoch nur erahnen. Selbst hartgesottene King-Fans geben meist zu, den Zyklus um den "Dunklen Turm" nicht oder nur in Teilen gelesen zu haben. Zu komplex, zu lang - vor allem aber zu weit weg vom gewohnten Duktus des Horror-Papstes, der sich üblicherweise mit dem schrittweisen Einbruch des Grässlichen in unseren Alltag beschäftigt. In dieser Hinsicht besaß das laut Eigenaussage wichtigste Werk des US-Autors immer eine Sonderstellung - und galt im Gegensatz zu beinahe allen anderen Geschichten des 69-Jährigen als unverfilmbar. Letztere zementierte Gewissheit wurde nun mit Nikolaj Arcels düsterer Kinoadaption ausgehebelt. Zumindest in Ansätzen gelingt es der von King persönlich begleiteten Verfilmung, die Essenz des komplexen Epos
zu fassen: Wir befinden uns in einem Universum, in dessen Zentrum der titelgebende Turm die ihn umgebenden Welten beschützt und im Gleichgewicht hält. Eine jener Welten ist die unsere: Auf der Erde beginnt der Film und führt die düstere Fantasy-Realität zunächst als Hirngespinste und Träume eines Jungen im New York der Gegenwart ein. Anders als in der Roman-Reihe steht jener Junge namens Jake Chambers (Tom Taylor), dessen Eltern ihn direkt in die Psychiatrie einweisen wollen, im Mittelpunkt - höchstwahrscheinlich auch, um Neulinge nicht sofort abzuschrecken. Denn das werden sie früh genug - die angeblichen Halluzinationen des Jungen erweisen sich nämlich als sehr real: Ein bösartiger Zauberer
beschießt, unterstützt von menschenmaskentragenden Tierwesen, den dunklen Turm mit entführten Kindern, um damit das Schutzschild unseres mehrdimensionalen Universums zu zerstören, außerhalb dessen sich Millionen abscheulicher Monster tummeln. Einzig ein cowboyartiger Revolvermann, der Letzte seiner Art, kann ihn daran hindern. Gemeinsam mit Jake, der sich als des Zauberers wirksamste Kinder-Waffe entpuppt und durch Portale zwischen den Welten-Dimensionen reisen kann, nimmt der Revolverheld
den Kampf Gut gegen Böse auf. Puh. Die Geschichte um den gottesähnlichen Turm, um Portale und Dimensionen, um alte Revolverhelden-Geschlechter und Kinder, die wie Raketen abgefeuert werden, lässt erahnen, warum "Der dunkle Turm" als schlecht verfilmbar galt. Tatsächlich gelingt es dem actionreichen, doch optisch nicht sonderlich ausgereiften Spektakel nur in Ansätzen, die Komplexität der von King geschaffenen Welt anzudeuten: Denn das düstere Universum des Autors stellt eine Art Meta-Erzählung dar, das, so eine gängige Theorie, alle King-Werke und vielerlei Mythen aus der menschlichen Geschichte vereint. So besitzt Jake etwa das "Shining" aus Kings beliebtem Roman; so ist etwa die Waffe des Revolvermannes aus der Klinge des Schwertes Excalibur gefertigt. Man muss wohl nicht weiter betonen, dass es unmöglich ist, diese übergreifenden Bedeutungen des "Dunklen Turms" in lediglich anderthalb Stunden herauszuarbeiten. Für Einsteiger bedeutet dies einen chaotischen Ritt voller Anspielungen und wirren Handlungssprüngen; für King-Kenner eine geglättete Spar-Version eines der komplexesten Roman-Epen der Gegenwart. So oder so - recht machen kann es die Adaption keinem so richtig, weshalb sie den einzig gangbaren Ausweg wählt: "Der dunkle Turm" konzentriert sich auf den Kampf Gut gegen Böse - in Person des "Mann in Schwarz" genannten Zauberers Walter (Matthew McConaughey) einerseits und dem Revolvermann Roland Deschain (Idris Elba) andererseits. Das herausragende Spiel der beiden Hauptdarsteller McConaughey und Elba, die eine andere Besetzung der King-Charaktere undenkbar erscheinen lassen, ist für "Der dunkle Turm" ein Glücksfall. Denn wenn das Werk schon seiner Vorlage nur in kleinen Teilen gerecht werden kann, sorgen die beiden Superstars wenigstens dafür, das sowohl Fans der Reihe als auch komplett Ahnungslose eine kurzweilige Melange aus Fantasy, Horror und Western zu sehen bekommen. In welchem Universum diese nun stattfindet, ist - je nach Blickpunkt - leider oder glücklicherweise zweitrangig.
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