Der Thriller "Kind 44" mit Tom Hardy - die AZ-Kritik
Das Buch war die Krimi-Überraschung des Jahres 2008: Ein Triller über einen Massenmörder im Arbeiterparadies des späten Stalinismus. Da waren Verbrechen als bürgerliche Verirrung abgeschafft. Die Polizei jagte vor allem (angebliche) Verräter und Saboteure.
Der Roman „Kind 44“ von Tom Rob Smith lebt von seiner dichten, genau recherchierten Atmosphäre. Er zieht den Leser tief hinein in diese düsteren Jahre. Jeder war als Staatsfeind verdächtig. Wenn einen die Geheimpolizei in der Früh um fünf aus dem Bett klingelte, war man reif für einen Genickschuss oder den Gulag.
Die Verfilmung scheitert am Atmosphärischen
Genau daran, am Atmosphärischen, scheitert die Verfilmung des chilenisch-schwedischen Regisseurs Daniél Espinosa. Gedreht wurde in und um Prag. Da sieht es nun mal aus wie in Mitteleuropa und nicht wie in Moskau. Die Kostüme wirken akribisch rekonstruiert, aber die überwiegend britischen Schauspieler geben nur britsche Russen ab.
Einmal taucht eine Industriestadt auf, die wie im Theater des 19. Jahrhunderts auf den Horizont gepinselt wurde. Und Eisenbahnfans sollten auch nicht zu genau hinschauen.
Espinosa erzählt die Handlung des Romans leider ziemlich fahrig nach. Unwahrscheinlichkeiten treten im Film wegen der Verknappung deutlicher hervor als bei der Lektüre. Und was passiert, ist letztlich Konfektion: Wie in jedem „Tatort“ gibt es polizeiinterne Rivalitäten, der Kommissar streitet sich mit seinem Vorgesetzten, wird suspendiert und ermittelt auf eigene Faust. Dazu kommt eine Ehekrise. Und alles wird hier dadurch verschärft, dass die russische Stasi selbst eine brutale Verbrecherbande ist.
Viel blühender Unsinn
Das Drehbuch macht aus Demidow jenen Rotarmisten, der 1945 die rote Fahne auf dem Dach des Berliner Reichstags hisste. Das gibt ein hübsches Bild ab und liefert davor eine wilde Schießerei. Mehr nicht.
Was man beim Lesen schluckt, wird hier blühender Unsinn: Leo Demidow (Tom Hardy) wird im Riesenreich Sowjetunion ausgerechnet als Polizist in jenes Provinzkaff strafversetzt, wo der Serienmörder ein nächstes Mal zuschlägt. Den psychologischen, historischen und sozialen Hintergrund seiner Taten muss im Roman nachlesen, wer sie verstehen will. Die Lösung des Falls wirkt im Film konfus, weil sich der Regisseur mehr für eine Schlägerei im russischen Schlamm interessiert.
Der Film ist gewiss brutaler wie ein Durchschnittskrimi im Fernsehen. Aber leider genauso langweilig. Dass russische Zeitungen „Kind 44“ verrissen haben, weil die Jahre unter Stalin in diesem Film zu düster dargestellt werden, könnte eigentlich ebenso eine Empfehlung sein wie die politisch motivierte Absage der Moskauer Premiere. Ist es aber leider nicht. Wer das Buch kennt, dürfte sich ärgern. Wer es nicht gelesen hat, muss Kremlastrologe sein, um ein paar Rätsel dieses Films zu verstehen.
Kinos: Atelier, Cinemaxx, Gloria, Mathäser und Cinema (OV), R: Daniél Espinosa (USA, GB, CZ, RU 138 Min.)
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