„Der Medicus II“ als Klischee-Krippenspiel
Obwohl die Verfilmung von Noah Gordons internationalem Bestsellerroman „Der Medicus“ 2013 mit 3,6 Millionen verkauften Tickets äußerst erfolgreich in den deutschen Kinos lief, dauerte es zwölf Jahre, bis nun die Fortsetzung des historischen Medizin-Thrillers auf die Beine gestellt wurde.

Diesmal handelt es sich auch nicht um eine Romanadaption, sondern um ein Originaldrehbuch - und diese fehlenden literarischen Wurzeln merkt man dem Film zu deutlich an. Regisseur und Co-Drehbuchautor Philipp Stölzl, der auch schon den Vorläuferfilm in Szene gesetzt hat, siedelt die Handlung nicht im fernen Persien, sondern im England des 11. Jahrhunderts an.
„Maria Stuart“ in das Plot-Potpourrie untergehoben
Dort landet der Medicus Robe Cole (Tom Payne) mit einer Hand voll Getreuen an, um das medizinische Wissen des Orients in sein Heimatland zu bringen. Er hatte gehofft, dass er mit seinen modernen medizinischen Erkenntnissen als Arzt mit offenen Armen empfangen werde. Aber im mittelalterlichen London treffen Cole und seine Weggefährten nur auf Ignoranz, Skepsis und Intrigen. Die herrschende Klasse der Mediziner hält an ihren überholten Vorstellungen fest, die vielen Patienten das Leben kosten.

Der Aderlass ist immer noch die wichtigste Behandlungsmethode. Anatomische Sektionen von Toten werden seitens der Kirche als Leichenschändung sanktioniert. Vermeintliche Hexen werden öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Und so errichtet Cole vor den Toren der Stadt in den Armenvierteln seine erste Krankenstation und kann bald durchschlagende Erfolge vorweisen.
Sein stärkster Gegner ist der königliche Hofarzt (Aidan Gillan), der sich das medizinische Wissen aus dem Orient selbst aneignen und daraus Kapital schlagen will. Zudem unterhält der Mann eine Affäre mit Königin (Emily Cox), die die Regierungsgeschäfte an sich gerissen hat und nicht mehr aus der Hand geben will, seit der König (Liam Cunningham) an einer angeblich unheilbaren Krankheit leidet.

Als Cole den Herrscher behandelt, natürlich auch heilt und damit wieder auf den Thron verhilft, gerät er mitten hinein in den innerhöfischen Machtkampf. Irgendwo in einem Klosterturm im schottischen Norden residiert auch noch eine Prinzessin und Thronfolgerin, die vermeintlich dem Wahnsinn anheim gefallen ist, womit dann ein wenig „Maria Stuart“ in das Plot-Potpourrie untergehoben wird. Da trifft es sich gut, dass sich Cole gerade im Fach Seelenkunde eigeninitiativ weitergebildet hat und auch vor der Ingebrauchnahme esoterischer Kräfte nicht zurückschreckt. Nach erfolgter Traumabehandlung und dem Mord an ihrem Vater kann die legitime Thronfolgerin dann gleich mit wehendem roten Haar in die Schlacht gegen die herrschsüchtige Königin ziehen, um das gespaltene Land wieder zu vereinen.
Stölzl inszeniert den „Medicus 2“ als Mittelalterspektakel mit einer gewissen Nähe zum Krippenspielhaften, was ja gut zum weihnachtlichen Starttermin passt. Erzählte der erste „Medicus“ aber noch entlang der kompetenten Schmökervorlage von einer echten Erkenntnisreise in den Orient, die für den Protagonisten kulturell und medizinisch neue Horizonte öffnete, fällt jetzt das verspätete Nachfolgewerk in die tiefen Schluchten vermoderter Historienfilmklischees.

In dem allzu klassischen David-gegen-Goliath-Plot tritt der überzeugte Mediziner gegen ein korruptes Establishment an. Die Story, die Stölzl und vier weitere Drehbuchschreibende sich ausgedacht haben, intrigiert tapfer vor sich hin, kommt aber über die Kleinkunstversion eines Shakespeare-Dramas nicht hinaus.
Ben Kingsley wird schmerzlich vermisst
Die Faszination für die Welt der frühen Medizin, die der erste Teil wie die Romanvorlage mit sinnlicher Kraft befeuerte, bleibt in der Fortsetzung schon bald auf der Strecke. Zu den äußerst vorhersehbaren Plotmanövern gesellt sich eine Kulisse, die keine historischen Authentizität zu suggerieren vermag und eine Figurenzeichnung, bei der auf abgegriffene Gut-Böse-Schemata zurück gegriffen wird. Auch das Charisma eines internationalen Stars wie Ben Kingsley, der den ersten Teil zusammengehalten hat, fehlt hier schmerzlich.
Kino: Astor im Arri, Solln, Rex, Rio, Leopold,. Mathäser, Royal und Museum (OV) R: Philipp Stölzl (D, 142 Min.)
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