Kritik

Filmfest München: Der Spion, der sein Schweigen brach

In der Doku „The Last Spy“ gewährt Peter Sichel ungewohnt offene Einblicke in seine Arbeit für die CIA
von  Volker Isfort
Peter Sichel floh 1935 vor den Nazis und kam 1943 als GI zurück nach Deutschland, ehe er bei der CIA Karriere machte.
Peter Sichel floh 1935 vor den Nazis und kam 1943 als GI zurück nach Deutschland, ehe er bei der CIA Karriere machte. © Filmfest München

Der Mann, der per Treppenlift der Kamera entgegenfährt, stellt sich kurz vor: „Ich heiße Peter Sichel und ich bin 100 Jahre alt.“ Der charismatische Jahrhundertmann und Ex-CIA-Mitarbeiter wollte seine Memoiren verfassen. Weil aber die CIA das Manuskript stark zensierte, plaudert er in „The Last Spy“ offen mit Filmemacherin Katharina Otto-Bernstein. Sein Bericht ersetzt auf spannende Weise ein ganzes Seminar Politik.

Geboren 1922 in einer Mainzer jüdischen Familie von Weinhändlern, floh Peter Sichel 1935 nach Bordeaux und schließlich 1941 mit der Familie nach New York. Dort erleben die Sichels entsetzt die Nazibegeisterung der deutschstämmigen Amerikaner, der nach Pearl Harbor schlagartig ein Ende bereitet wird. Peter Sichel tritt in die amerikanische Armee ein, wird schon ein Jahr später vom Office of Strategic Service (OSS) rekrutiert und mit Geheimdienstarbeit vertraut gemacht.

Schonungslose Abrechnung mit der amerikanischen Politik 

Nach Ende des Krieges beginnt er seine Arbeit im Berliner Hauptquartier der CIA in Dahlem. Zwar gilt er bald als „The Wunderkind Intelligence Officer“, in der Rückbetrachtung aber sieht Sichel seine Arbeit kritischer: Immer wieder fliegen ganze Netzwerke auf, die Russen sind mit ihrer Geheimdiensterfahrung viel effektiver.

Doch es sind nicht diese Einblicke, die den Film so besonders machen, sondern Sichels schonungslose Abrechnung mit der amerikanischen Politik unter den Brüdern Dulles: Allen war 1953 bis 1961 Leiter der CIA, John Foster von 1953 bis 1959 Außenminister der Vereinigten Staaten. Die Angst vor der Ausdehnung des sowjetischen Einflusses führt zu folgenschweren Entscheidungen.
Völlig nutzlos werden Agenten geopfert, die in der Ukraine, Albanien oder China Widerstandsgruppen kontaktieren sollen, die es nie gab.

Wie kommt man an die Ausscheidungen des Präsidenten? 

In Guatemala putscht 1954 die CIA die demokratisch gewählte Regierung, die Kleinbauern unterstützt und die sklavenähnlichen Bedingungen für Arbeiter auf den Bananenplantagen der United Fruit Company verbessern will. Es folgt ein Jahrzehnte andauernder Bürgerkrieg mit über 200.000 Toten. „Wir haben dieses wunderschöne Land zerstört“, sagt Sichel.

Weltpolitisch folgenreicher war der von der CIA eingeleitete Sturz des iranischen Premierministers Mossadegh 1953, ebenfalls ein demokratisch legitimierter Politiker, und die Wiedereinsetzung des Schahs. „Ohne uns wäre der Iran heute eine Demokratie“, bilanziert Sichel. „Wir sind indirekt für den Aufstieg der Mullahs verantwortlich.“

Deutscher Wein für Amerika 

Sichel plaudert auch delikate Geheimnisse aus. So war es seine Aufgabe, eine Stewardess in die Maschine des indonesischen Präsidententen Sukarno zu schleusen, um für die CIA die Hinterlassenschaften von dessen Toilettengang zu sammeln. Gerüchteweise war der Präsident schwer krank, doch die Stuhlanalyse bewies das Gegenteil.

1960 verlässt Sichel die CIA und kehrt zu seinen Wurzeln zurück. Er macht deutschen Weißwein, die Familienmarke „Blue Nun“, in Amerika bekannt, baut einen weltweiten Handel auf. Vor vier Monaten ist Peter Sichel im Alter von 102 Jahren in New York gestorben, „The last Spy“ ist sein wichtiges Vermächtnis.


30.6. 2025 Astor Arri Kino, 14.30 Uhr; 6.7. Amerikahaus, 14 Uhr

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