Das Theater geht ins Kino: "Diplomatie" und "Triptych"

Von der Bühne auf die Leinwand: Volker Schlöndorff verwandelt das Theaterstück "Diplomatie" in ein filmisches Kammerspiel, während Kanadas Theaterzauberer Robert Lepage seine 9-stündige Mammut-Inszenierung "Lipsynch" zu einem 90-minütigen Film-Triptychon kondensiert
von  Michael Stadler

Im Kino können allein die Bilder sprechen, im Theater braucht man im Regelfall das gesprochene Wort, um die Dinge in Bewegung zu bringen. Ein Stück über die Kunst der Überredung, voller rhetorischer Haken hat der Franzose Cyril Gély mit "Diplomatie" (2011) geschrieben: Am Ende des Zweiten Weltkriegs will Hitler immerhin Europa in Schutt und Asche hinterlassen, befiehlt die Zerstörung von Paris, was bekanntermaßen nicht geschah. Gély imaginiert in seinem Stück ein langes Wortduell zwischen dem Wehrmacht-Kommandeur in Paris, General Dietrich von Choltitz und dem schwedischen Konsul Raoul Nordling. Der eine, von Choltlitz, ist ein treuer Gefolgsmann Hitlers, der sich auf den Standpunkt zurückzieht, dass er nur gehorsam seine Pflicht tut, während der andere, Nordling, eine Katastrophe mit Mitteln der Redekunst verhindern will.

Volker Schlöndorff hat sich des Stoffes angenommen und mit André Dussollier und Niels Arestrup zwei französische Star-Schauspieler gewonnen, die ihre Sache sehr gut machen. Mit Charme und verzweifelter Verve spielt Dussollier den schwedischen Diplomaten, wobei in seinen Augen immer das Drehen der Denkrädchen zu sehen ist: Wie bekommt er den sturen, pflichtbewussten von Choltitz von seinem Plan ab? Arestrup gibt mit sehr gutem Deutsch den engstirnigen General, dessen Widerstand dann doch irgendwann aufbricht: Er hat Angst, dass seine Frau und seine drei Kinder von den eigenen Leuten getötet werden, falls er die Order zur Zerstörung der französischen Hauptstadt nicht in die Tat umsetzen lässt. Ein privates Motiv also, kein blinder Gehorsam.

Die Theaterherkunft kann der Film nicht verbergen, will er auch gar nicht. Stattdessen verlässt er sich auf die Kraft der Worte, auf das Hin und Her der Argumentation. Nur selten geht der Blick nach draußen: Panorama-Ansichten von Paris, dessen Schönheit Nordling immer wieder anpreist, und Szenen des Aufruhrs, immerhin steht der Anmarsch der Alliierten bevor. Ein hohes Budget kann diese Arte-Produktion nicht gehabt haben, aber mit guten Schauspielern und einem guten Stoff lässt sich ein durchaus mitreißendes Kammerspiel inszenieren, wobei Kameramann Michel Amathieu sich darin versteht, die beiden Wortkombattanten immer wieder spannungsreich, auch in Bezug auf Paris, das durchs Fenster praktisch auf sie blickt, ins Bild zu bringen.

Weg vom Theater, ganz rein ins Kino, in die Welt der bewegten Bilder geht Robert Lepage mit seiner Filmadaption seiner neunstündigen Bühnen-Inszenierung "Lipsynch". Für "Triptych" hat er den Regiestuhl mit dem in Frankreich geborenen Filmregisseur Pedro Pires geteilt: Pires war offenbar fürs Filmische zuständig, fürs Herunterdimmen der Mimik, für die schönen Bildkompositionen, die er mit seiner eigenen Digital-Kamera aufnahm. Für die großen Berlinale-Leinwände sind diese Digital-Bilder zu verwaschen, aber dennoch ergeben sich sehr schöne Momente in diesem Film, der sich, wie die Theatervorlage, mit der Bedeutung der Stimme für das menschliche Leben auseinandersetzt.

Drei vernetzte Geschichten aus dem Theatermarathon "Lipsynch" haben Lepage und Pires ausgewählt, um diese in drei Episoden, in drei Städten zu inszenieren: Eine schizophrene Buchhändlerin in Québec kehrt aus einer psychiatrischen Klinik zurück und hört weiter die Stimmen ihrer Kindheit. Ein deutscher Neurologe in London kümmert sich um ihre Schwester, eine Jazz-Sängerin aus Montréal, die wegen eines Gehirntumors von ihm operiert werden muss und dabei Gefahr läuft, ihre Sprechfähigkeit zu verlieren.

Echten Gehirnoperationen wohnten Lepage und Pires bei für blutige Aufnahmen. Die Bildfantasie wuchert, so wie man es von dem ideenreichen Theatermagier Lepage erwartet. Die Darsteller gehören zu seiner Compagnie Ex Machina und übernehmen die Rollen, die sie schon in "Lipsynch" hatten. Besonders berührend ist die Suche der Jazz-Sängerin nach dem Sound, den die Stimme ihres Vaters hatte. Nur noch stumme Super-8-Aufnahmen hat sie von der Vergangenheit, aus der alten analogen Zeit, und lässt diese von verschiedenen professionellen Sprechern synchronisieren. Ist einer darunter, der wie ihr Vater klingt? Lepage und PIres finden eine wundervolle Lösung für das Problem, in einem berührenden Film, der starken Applaus in Berlin erhielt und hoffentlich einen deutschen Verleih bekommt.

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