Das Schlachtfest

„Im August in Osage County“ ist eine grandiose, harte, psychologisch intensive Allstar-Abrechnung mit dem Thema Familie
Adrian Prechtel |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Als die Nachricht eintrifft, der alte Vater (Sam Shepard) sei aus seiner Ehe abgehauen, machen sich die drei Töchter mit Anhang auf in die einsamen heiß-staubigen Plains, ins Elternhaus in Oklahoma.

Beim einmaligen Großfamilien-Essen brechen dann alle Fassaden zusammen. Denn am Kopf des Tisches sitzt die Mutter. Wie ein gereiztes, von zu viel Tabletten aufgeputschtes Krokodil nutzt Violet (Meryl Streep) jede Gelegenheit, jeden ins Messer laufen zu lassen, jeden bloßzustellen, mit allen Familien-Wahrheiten so gnadenlos zuzubeißen, dass es zum totalen Eklat kommt.

Die älteste Tochter (Julia Roberts) geht der Mutter an die Gurgel, in der Familienprügelei verrutscht Violets riesige 60er-Jahre-Liz-Taylor-Perücke, die ihren Chemotherapie-Fastkahlkopf verdeckt.

Es ist nur einer der gnadenlosen Familien-Tiefpunkte in diesem packenden Film von John Wells, in dem Meryl Streep und Julia Roberts so intensiv und gegen sich selbst rücksichtslos spielen, wie man es kaum für möglich hält.

Wie aber verkauft man diesen phänomenalen Allstar-Film an der Kinokasse? Als Familienkomödie? „Selten war Kino so gefühlsstark und unterhaltsam“, sagt die Eigenwerbung und führt zur Attraktionssteigerung aber absichtlich auf eine falsche Fährte: Denn ja, „Im August in Osage County“ ist gefühlsstark. Aber nicht im Sinne irgendeiner Romantik, sondern im psychologisch unfassbar tiefen Aufdecken von belastenden Familienstrukturen, -verletzungen und ihrer Weitergabe von Generation zu Generation. Dabei wird jede Figur Schritt für Schritt ausgeleuchtet.

Wir lernen sie kennen und verstehen, wir leiden, lieben und hassen mit ihnen. Und das ist höchste Schauspiel- und Filmkunst. Und ja, das ist auch „unterhaltsam“. Aber eben nicht im Sinne eines Happy Ends oder Popcorn-Amüsements, sondern durch atemberaubend psychologische Spannung. Dabei wird auch die sonst oft glorifizierte Aufbau-Elterngeneration zerlegt als aus Noterfahrung geldfixiert und letztlich gefühlsunfähig.

Interessanterweise sind es hier die Männer, die in diesem verzweifelten Hyänenhaufen Pole der Vernunft und Menschlichkeit sind – wenn sie auch keine Glanzlichter oder Heilige sind.
Der Film ist ein neuer „Who’s afraid of Virgina Woolf“-Geniestreich, der aber nicht nur Ehen zerlegt, sondern gleich die ganze Familie durch aggressive Offenlegung von Abgründen, Ängsten und Scheitern. Grandios!

Kino: Münchner Freiheit, Solln, Mathäser, Gloria (dt. und OV) sowie Cinema (OV)
Regie: John Wells (USA, 115 Min.)

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.