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"Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" unterhält als quirlige Haus-Kammerkomödie mit politischem Anstrich. Am Ende bleibt aber wie so oft die Wohlfühl-Moral.
Maximilian Haase |
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Als quirlige Ensemble-Comedy widmet sich "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" der Wohnungsnot in Paris.
SquareOne / Universum Als quirlige Ensemble-Comedy widmet sich "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" der Wohnungsnot in Paris.
Die Themenvielfalt der populären Moralkomödie französischer Herkunft scheint inzwischen ein wenig erschöpft: Migranten und Provinzler, Rollstuhlfahrer und Gehörlose, Juden und Moslems, Junge und Alte, Große und Kleine: Die wesentlichen Konfliktlinien zwischen gesellschaftlichen
Gruppen wurden auf der Leinwand bereits abgegrast. Doch die größten Probleme, das erkennt man nun, gehen in Zeiten der Krise weit über Identitäten hinaus. So brachte "Frühstück bei Monsieur Henri" 2015 die akute Wohnungsnot
und horrenden Mieten auf die Tagesordnung. Themen, die so dringlich scheinen, dass sich ihnen mit "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" nun eine weitere Komödie annimmt. Beim beliebten Jonglieren mit Klischees darf sich das unterhaltsame Kammerspiel ebenso austoben wie beim politischen Zickzack-Lauf. Am Ende steht aber wie gewohnt die liebe Wohlfühl-Moral. Es bedarf zunächst einer Aufklärung: Die mittlerweile unsäglich öden Titel der beliebten französischen Feel-Good-Comedys - bestehend aus irgendeinem Monsieur, einer Madame oder einer Familie - sind in den meisten Fällen nicht auf den Mist französischer Einfallslosigkeit gewachsen, sondern entstammen der Hoffnung deutscher Verleihe auf die schnöde Vermarktung des Ewiggleichen. So lautet auch der Titel der Komödie "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" im Original "Le grand partage" - zu deutsch: "Das große Teilen". Und dieses spielt sich im Film nicht nur zwischen zwei ach so verschiedenen Individuen ab, sondern zunächst tatsächlich im großen Stil. Die allpräsente Pariser Wohnungsnot, die vor zwei Jahren schon Monsieur Henri und eine junge Studentin in einer WG zusammenführte, spitzt sich in "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" im bitterkalten Winter zu: Obdachlose
, Weggentrifizierte, arme Familien und, nicht zu vergessen, Flüchtlinge und Migranten drohen, auf der Straße zu landen. Kurzerhand entscheidet die sozialistische Regierung: Alle müssen teilen! Wessen Wohnung zu groß ist, muss nun laut Gesetz je nach Quadratmeterzahl weitere Menschen bei sich aufnehmen. Selbstverständlich betrifft das vor allem die Wohlhabenderen der Gesellschaft, die in den prächtigen Altbauten der Innenstadt leben. Anhand eines solchen Hauses inszeniert Regisseurin Alexandra Leclère ein clever geschriebenes Kammerspiel, das den Fokus auf die - natürlich - sehr unterschiedlich reagierende Hausgemeinschaft legt. Da wären die titelgebende Madame Christine ( Karin Viard) und ihr Mann Pierre (Didier Bourdon), die zur Oberschicht
gehören und ihre 300 Quadratmeter freilich nicht mit dem Gesindel da draußen teilen mögen. Da wären aber auch ihre linksliberalen Akademiker-Nachbarn Bobos (Michel Vuillermoz) und Beatrice Gregory (Valerie Bonneton), die ebenfalls wohlhabend leben, aber zumindest in der Theorie für eine gerechte Gesellschaft einstehen. So lange eben, bis es sie selbst betrifft. Mehr und mehr stellt der Film die gesamte Hausgemeinschaft vor, etwa den reichen doch einsamen Nachbarn, der sich etwas Gesellschaft erhofft, oder die grantige Concierge, die ihren wenigen Wohnraum nicht teilen muss, aber dennoch gegen Migranten hetzt und Front National wählt. Wenn dann die afrikanischen Großfamilien, die Lebenskünstler und Obdachlosen
tatsächlich einziehen, gerät der quirlige Film vollends zum chaotischen Auf und Ab. Eines, das gewollt ist. In der Vielfalt der Charaktere, Lebensentwürfe und Ansichten, die klarerweise meist laut und unmissverständlich und oft auch sehr klug mitgeteilt werden, liegt im Kern die charmante Botschaft: Das ist die freie und offene Gesellschaft voller unterschiedlicher Menschen - nur diesmal eben auf engstem Raum. Ebenso vielfältig, doch auch vorhersehbar, kommen Linke wie Konservative im Kontakt mit den neuen Mitbewohnern zur Läuterung und wieder zurück. Eine wirkliche komödiantische Verhandlung des aktuell brisanten politischen Status Quo, der im Wohnungsmarkt der multikulturellen
Großstädte ja seine Zuspitzung erfährt, gelingt allerdings nur in Ansätzen. Die vieldiskutierte Abgehobenheit bestimmter Milieus in Filterblasen, die Bigotterie des Bürgertums und das Verhältnis von ökonomischen Grundlagen und Moral wird in "Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste" zwar angesprochen - löst sich aber in Wohlgefallen auf. Schließlich bleibt es ja am Ende immer noch eine französische Wohlfühlkomödie.
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