"Crescendo" ist gut gemeint, aber mitunter eine intellektuelle Beleidigung

Zu wenig Musiker für Dvoøák, zu wenig Qualität fürs Kino.
Robert Braunmüller |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Peter Simonischek als Dirigent Eduard Sporck in einer Szene des Films "Crescendo"
Oliver Oppitz/Camino Filmverleih/dpa Peter Simonischek als Dirigent Eduard Sporck in einer Szene des Films "Crescendo"

Alles an diesem Film ist – leider – völlig erwartbar. Peter Simonischek spielt wieder einmal den gutherzigen Brummbären. Bibiana Beglau gibt die eiskalte Geschäftsfrau mit weltverbesserendem Innenleben, Götz Otto bleibt die ideale Besetzung für einen schlecht gelaunten Security-Mann, dem das Magengeschwür ins Gesicht geschrieben ist, weil jeder seine Warnungen als lästige Spaßbremse ignoriert.

Am Anfang montiert der Regisseur Dror Zahavi sehr virtuos die Geschichte parallel zwischen Tel Aviv und der Westbank hin und her. Ein junger Israeli und eine Palästinenserin üben über alle Grenzen und Checkpoints hinweg herzergreifend das gleiche Stück von Bach. Sie bewerben sich für ein paritätisch besetztes Jugendorchester, das bei einer nahöstlichen Friedenskonferenz in Südtirol aufspielen soll.

Alles sehr berechenbar

Nach dieser Demonstration der grenzüberschreitenden Macht der Musik wärmt der Film wieder einmal die alte Geschichte von Romeo und Julia auf. Nur war William Shakespeare leider nicht an der Produktion beteiligt: Die Dialoge sind hölzern, die Handlung kommt geometrisch gezirkelt daher.

Der vor Arroganz strotzende israelische Geiger tut am Ende den ersten Schritt, die eigentlich grundsympathische palästinenische Konzertmeisterin wirft kurz vor Schluss doch noch einen Stein nach dem Auto eines Juden. Und der deutsche Dirigent arbeitet natürlich nebenbei ein verdrängtes familiäres Nazi-Trauma auf.

Alle Figuren haben irgendeinen Knacks, der perfekt zum Charakterfehler einer anderen Figur passt. Leider ist keinem aufgefallen, dass der offenbar nur aus Gründen der üppigen Filmförderung gewählte Schauplatz Südtirol zum Thema der Befriedung verfeindeter Nationalitäten durchaus einiges hergäbe.

Nichts für Südtirol-Kenner

Dass allerhöchstens 20 Musiker versuchen, die Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ von Antonín Dvoøák aufzuführen, obwohl der Dirigent im Film nach eigenen Worten für höchste künstlerischen Standards steht, gehört bei solchen Filmen offenbar dazu.

Aber warum muss, wenn Frankfurt am Main, der Lang- und Plattkofel sowie die Seiser Alm sich selbst spielen, das Probenlokal unbedingt in Sterzing verortet werden, obwohl die Aufnahmen unverkennbar in einem Schloss im Überetsch gedreht wurden?

Für alle Kenner der Gegend sind die geografischen Schlampereien und Anschlussfehler dieses vor allem gut gemeinten Films nicht nur eine intellektuelle Beleidigung. Sie schaden auch der Glaubhaftigkeit der Darstellung der Verhältnisse in der Westbank und an den Checkpoints, die der Zuschauer womöglich nicht mit eigenen Augen kennt.

„Crescendo“ wäre als politisch engagierter Degeto-Freitagsfilm tolerabel, im Kino hat er nichts verloren.

R: Dror Zahavi (D, 112 Min.) Kinos: Neues Maxim, Theatiner (beide OmU), Arri

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.