Isabelle Huppert balanciert in dem ebenso verstörenden wie überraschenden Thriller von "Basic Instinct"-Regisseur Paul Verhoeven an der Schmerzgrenze. Eine Rolle, die ihr den Oscar einbringen könnte.Heidi Reutter
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2016 SBS Prod. / Twenty Twenty Vision / France 2 Cinema Michele (Isabelle Huppert) und ihre Katze, die alles beobachtet hat.
Isabelle Huppert hat keine Angst vor prekären Figuren. Immer wieder lotet die grandiose französische Aktrice die Krisen und Abgründe des menschlichen Seins aus. Man denke etwa an ihre Performance als masochistische Musiklehrerin in Michael Hanekes
"Die Klavierspielerin" aus dem Jahr 2001. Nun hat sie der niederländische
Regisseur Paul Verhoeven perfekt besetzt in der Rolle einer erfolgreichen, eiskalten Geschäftsfrau, die vergewaltigt wird und damit auf ihre Weise umgeht. Der Film war in drei Kategorien für den Europäischen Filmpreis
2016 nominiert (gleichwohl ohne einen zu gewinnen) und hat dank seiner Hauptdarstellerin nun Oscarchancen. Michèle Leblanc (
Isabelle Huppert
) ist eine Frau, die ihren Mann steht. Sie ist Chefin einer Firma, die Videospiele produziert, und mit der kühlen Präzision, mit der sie die beruflichen Herausforderungen angeht, organisiert sie auch ihr Privatleben. Als sie eines Tages in ihrem eigenen Haus von einem Unbekannten angegriffen und
vergewaltigt wird, reagiert sie anschließend derart beherrscht, dass man nicht weiß, ob der brutale Akt nicht eher ein sexuelles Rollenspiel war. Michèle wendet sich bewusst nicht an die Polizei
, erzählt allerdings ihrem gewalttätigen Ex-Mann (Charles Berling) und ihrer Arbeitskollegin Anna (Anne Consigny) von dem Vorfall - en passant beim Abendessen, der Champagner muss eben warten. Von Rachegelüsten ist bei Michèle keine Spur, stattdessen irritiert sie mit ihrem untypischen Verhalten. Basierend auf dem Roman "Oh..." von Philippe Djian, der schon für das existenzielle Drama "Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen" (1986) die dramatische Vorlage lieferte, inszenierte Regisseur Paul Verhoeven nach Filmen wie "Basic Instinct" (1992) und "Showgirls" (1995) wieder einen Thriller um Sex
und Abgründe, der unter die Haut geht. Das ist vor allem der ambivalenten Figur von Michèle geschuldet, die sich in diesem Film nicht, wie zu erwarten wäre, als Opfer geriert. Stattdessen überrascht sie als selbstbestimmte, unerschütterliche Heldin, die dem Leben mit einem unterkühlten Pragmatismus und einer arroganten Unerschrockenheit begegnet, was möglicherweise mit ihrer familiären Vorgeschichte zu tun haben könnte. Das geht so weit, dass sie sich mit ihrem Peiniger wieder trifft und eine abnorme Beziehung beginnt ... Bei der Premiere bei den Filmfestspielen 2016 in Cannes sorgte der kontroverse Film für Diskussionen. Diese dürften sich mit dem deutschen Filmstart fortsetzen, weil "Elle" bisherige Frauenbilder derart kühn auf den Kopf stellt, dass der Begriff Emanzipation eine neue Konnotation erhält. Isabelle Huppert
spielt diese eigenwillige Frau so bravourös, dass die Charakterdarstellerin hierfür bereits mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde und nun sogar ins Oscar-Rennen geht. Wer im Kino überrascht werden will, sollte sich "Elle" nicht entgehen lassen, weil der diesjährige Berlinale-Jury-Präsident Verhoeven mit seiner brillanten Schauspielerin tollkühn mit den gesellschaftlichen Konventionen bricht. Der Niederländer liefert einen Thriller ab, der fast schon grotesk anmutet, gänzlich unmoralisch und unvorhersehbar ist und sich in keine Kategorie pressen lässt. Wenn überhaupt, dann in diese: außergewöhnlich.