Constantin-Film-Chef Moszkowicz: Kannibalismus ist programmiert

München - Heute ist Donnerstag. Also seit Jahrzehnten klassischer Kinostarttag. Die Constantin Film ist als Produzent und Verleih mit 520 Mitarbeitern weltweit eine der größten deutschen Player im Filmgeschäft.
Das Jahr 2019 war mit einem Umsatz von 264 Millionen Euro und gestiegenem Gewinn eines der besten der Firmengeschichte. Dann kam Corona. Jetzt, im Dezember, war der Start von gleich vier Filmen geplant: die Eigenproduktionen "Monster Hunter" von Paul W.S. Anderson mit Milla Jovovich und Sönke Wortmanns Komödie "Contra" sowie der Eberhofer-Krimi "Kaiserschmarrndrama" mit dem Duo Sebastian Bezzel und Simon Schwarz und noch die Koproduktion "Ostwind - der große Orkan", die fünfte und letzte Folge der "Ostwind"-Pferdereihe .
"November- und Dezemberhilfen sind eine Mogelpackung"
AZ: Herr Moszkowicz, heute hätte "Monster Hunter" ins Kino kommen sollen. Kein wirkliches Ende des Teil-Lockdowns in Sicht. Wie fühlen Sie sich?
MARTIN MOSZKOWICZ: Nicht gut, die Situation ist beschissen. Ich kann die politischen Entscheidungen nachvollziehen, halte sie aber nicht für richtig. Wenn die Schließung von Kultur- und Unterhaltungseinrichtungen in Kauf genommen wird, um Schulen und Kitas weiter zu öffnen oder kirchliche Veranstaltungen durchzuführen, sollte es wenigstens einen finanziellen Ausgleich für die Betroffenen geben. Für uns als Verleihunternehmen sind diese November- und Dezemberhilfen eine Mogelpackung. Wir haben im Hinblick auf unsere vier Filme, die wir im Dezember starten wollten, Millionen-Investitionen getätigt, Werbezeiten und Werbeflächen gebucht, mit Kinos abgesprochen. Alles umsonst.
Was hätten Sie sich gewünscht?
Die Kultur-, Kunst- und Unterhaltungsbranche ist kein Parkhaus, das man bei Bedarf heute öffnen und morgen wieder schließen kann. Wir benötigen Vorbereitungszeit und Planungssicherheit, keine kurzfristigen Beschlüsse. Ich hätte mir eine Politik mit einer detaillierteren Betrachtungsweise und einem fantasievolleren und vorausschauenderen Umgang gewünscht. Kinos gehören bestimmt nicht zu den infektionsgefährdenden Orten. Da hätten sich die Menschen sicher und infektionsgeschützt zwei Stunden ihrem Alltag entziehen können, statt unkontrolliert Privatpartys zu feiern.
"Wir zahlen jetzt den Preis für den lockeren Lockdown"
Sind Sie wütend oder resigniert?
Ich bin enttäuscht über diese für mich willkürlichen Stilllegungen. Trotz Schließung von Gastro und Kultur hat sich seit vier Wochen das Infektionsgeschehen nicht reduziert. Das zeigt doch, wie unüberlegt diese Maßnahmen sind. Und mit besseren digitalen Nachverfolgungsmethoden wären die Gesundheitsämter auch nicht überlastet. Ich ärgere mich darüber, dass wir bei den zugesagten Hilfen unter den Tisch fallen sollen mit dem Hinweis, wir seien nicht unmittelbar wie die Kinos betroffen. Es wird übersehen, dass wir als Verleihfirma mit unseren Filmen zu 50 Prozent pro Ticket an den Einnahmen der Filmtheater beteiligt sind und somit unmittelbar Verluste erleiden. Wir zahlen jetzt den Preis für den lockeren Lockdown. In Frankreich und den Niederlanden öffnen die Kinos nach dem harten Lockdown Mitte Dezember, teilweise auch in England.
Es gibt Kurzarbeitergeld, ein Instrument, das Ihnen wie anderen Firmen zur Verfügung steht.
Aber das will man gar nicht. Man möchte doch jedem die Möglichkeit geben, bei vollem Lohn zu arbeiten.
"Ausfallfonds gelten nur in einem engen Rahmen"
Produktion, Verleih, Abspiel stehen als ineinander greifendes Geschäftsmodell unter Druck. Wie läuft es in der Produktion?
Es läuft, ist mühselig, kostspielig und aufwändig. Wir produzieren reduziert mit Mehrkosten in Deutschland und auch international in Polen, Tschechien, Kanada und anderen Ländern. Auf Dauer ist das aufgrund des großen finanziellen Risikos nicht durchzuhalten. Schäden werden nicht von den klassischen Versicherungen abgedeckt. Ausfallfonds gelten nur in einem engen Rahmen für ausschließlich in Deutschland hergestellte Produktionen. Wir sitzen da zwischen allen Stühlen. Derzeit drehen wir unter anderem in Deutschland "Die Wannseekonferenz", eine große Produktion für das ZDF, einen Mehrteiler in Polen und Berlin, einen Kinofilm in Kanada und im Februar beginnen wir mit "Der Nachname", dem Folgefilm von "Der Vorname", in Gran Canaria. Corona-Tests finden manchmal im Ein- oder Zweitagesrhythmus statt. Bei einem positiven Testergebnis steht die Produktion still und wir müssen die Kosten in vielen Fällen selbst ganz oder teilweise schultern.
Steht die Filmbranche am Abgrund, erleben wir einen Abgesang auf das Kino?
Für die Kinos bedeutet die Lockdowns eine existenzielle Bedrohung, 20 bis 25 Prozent werden wohl nicht überleben. Das Schlimmste ist die Unmöglichkeit zu planen. Verschiebe ich jetzt einen Kinostart auf den 15. Januar, muss ich wieder Geld in die Hand nehmen und erfahre vielleicht erst kurz vorher, ob das überhaupt klappt und ob überall oder nur in Mecklenburg-Vorpommern und/oder Schleswig-Holstein. Wir haben noch nicht festgelegt, wann wir unsere vier Dezember-Filme starten, jedenfalls nicht im Dezember. Unsere Risikobereitschaft reduziert sich, weil wir uns mehrfach die Finger verbrannt haben. Statt staatlicher Hilfe möchte ich, dass unsere Filme im Kino laufen. Im Moment haben wir eine Art Berufsverbot für unsere Branche und erhalten keine Entschädigung. Das macht mich wütend.
"Im nächsten Jahr werden sich die Filme gegenseitig kannibalisieren"
Sollten im Januar oder Februar die Kinos wieder öffnen, gibt es einen riesigen Rückstau…
Im nächsten Jahr werden sich die Filme gegenseitig kannibalisieren, wie es so furchtbar heißt. Dann dominiert das Recht des Stärkeren, das stärkste Produkt. Nicht unbedingt eine Hilfe für den deutschen Film. Ich bin ein großer Optimist und versuche, auch als Produzent das Positive zu sehen. Aber im Moment gehen mir dazu etwas die Argumente aus. Dass die politischen Entscheider sich verständigt haben, diesen Bereich als Kollateralschaden "mitzunehmen" und ihnen scheinbar egal ist, was da passiert, finde ich einer Kulturnation wie Deutschland unwürdig und grauenhaft. So etwas habe ich in meiner langen Berufslaufbahn noch nicht erlebt.
Machen in Zukunft die seriellen Figuren von Netflix und anderen Plattformen das Rennen? Bleiben die Leute auf der Couch?
Das hoffe ich nicht. Es gibt Daten darüber, dass Nutzer von Streamingportalen auch oft ins Kino gehen. Aber es könnte sein, dass die Leute verlernen, für einen Film das Haus zu verlassen. Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt.
"Vielleicht braucht man etwas anderes als nur Verbote"
"Wonder Woman" startet in USA am 24. Dezember in wenigen offenen Kinos und gleichzeitig auf dem Streamingdienst von Warner. Wankt die Sperrfrist, nach der ein Film erst nach Monaten der Kinoauswertung auf DVD oder digital angeboten werden darf?
Ich könnte mir eine zeitliche Reduzierung vorstellen, aber keine deutsche Firma verfügt über eine eigene substanziell wichtige Streamingplattform. Deshalb wird es bei uns keine amerikanischen Verhältnisse geben. Ich kann mir aber vorstellen, in den nächsten zwölf Monaten ein oder zwei Titel an eine Streamingplattform zu verkaufen wie "Berlin, Berlin" an Netflix im Frühjahr.
Jetzt ist Ihre für das Kino produzierte Neuverfilmung des Kinderbuchklassikers "Black Beauty" direkt bei Disney+ gelandet. Ein "Verrat" am Kino?
Nein. Was nutzen vier starke Dezemberfilme bei geschlossenen Kinos? Streamingdienste allein sind weder Geschäftsmodell noch Strategie der Constantin. Wir werden nach wie vor Filme ins Kino bringen, müssen aber schauen, wie wir über die Runden kommen und die schwere Zeit wirtschaftlich überbrücken können.
Falls die Situation sich durch weitere "lockere" Lockdowns zuspitzt, gibt es einen Plan B?
Nein. Wir machen keine Armageddon-Szenarien und hoffen, dass sich die Situation irgendwann verbessert und Kunst, Kultur und Unterhaltung wieder geschätzt werden - auch für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wichtig ist, dass die Menschen die Maßnahmen verstehen und akzeptieren. Würden sich alle daran halten, hätten wir andere Zahlen. Vielleicht braucht man etwas anderes als nur Verbote.