Charles Aznavours bewegende Lebensreise als Film

Wer kennt ihn nicht, diesen nur 1,61 Meter kleinen Mann mit der genialen Stimme aus „Sand und Rost“, Frankreichs legendären Chansonnier Charles Aznavour? Der Mann, der 180 Millionen Tonträger verkaufte und mit über 1000 Chansons in 70 Jahren die Menschen verzauberte? Auf der Leinwand brillierte er in mehr als 30 Filmen, wie in François Truffauts „Schießen Sie auf den Pianisten“ aus dem Jahre 1960.
Bis er aber das legendäre Olympia in Paris eroberte und später das Publikum weltweit begeisterte, dauert es. Mehdi Idir & Grand Corps Malade entwerfen in fünf Kapiteln ohne lineare Struktur ein Biopic, das von Wünschen und Träumen erzählt, von einer unglaublichen Karriere, von Einsamkeit, Liebe und Willenskraft, trotz Zerbrechlichkeit.

Es zählen in dieser fesselnden und melancholischen Reise die Schlüsselelemente eines Lebens voller Kontraste. Der Erfolg war dem 1924 in Frankreich geborenen Sohn armenischer Flüchtlinge nicht in die Wiege gelegt. Um ein paar Francs zu verdienen, nahm er als Sechsjähriger eine Mini-Rolle am Theater an und da wusste er, die Bühne ist sein Revier. Tahir Rahim kommt ihm optisch nahe, ohne ihn zu imitieren. Er spielt den Sänger grandios vom frühen Erwachsenenalter mit Gestik und Blicken in all seinen Facetten - Angst vor dem Auftritt, Nervosität vor der Reaktion des Publikums, Zerrissenheit zwischen Karriere und Familie, große Opfer für den Aufstieg, immerwährende Selbstzweifel.
Edith Piaf fördert Charles Aznavour
Zu Beginn tingelt er in Bars und Tanzlokalen, muss sich gegen Kritik und Rassismus wehren. Ein Glücksfall war 1946 die Begegnung mit Edith Piaf (Marie-Julie Baup), seine strenge aber auch großzügige Mentorin, die sein Potenzial sofort erkannte und ihn unter ihre Fittiche nahm, für die er Texte und Musik schrieb und mit der ihn eine jahrelange „Amitié amoureuse“ verband, mehr als Freundschaft, aber weniger als Liebe.

Besonders spannend sind die Jugendjahre geprägt von Freiheit und Lebenshunger, in der man oft nur alle zwei Tage etwas zu essen erhielt und auf den Ruhm wartete, wunderbar besungen in der Hymne an diese verrückte Zeit „La Bohème“, in einem Paris, das es heute so nicht mehr gibt. Und dann die 1960er Jahre, in denen Aznavour die größten Hits schrieb.
Viele Frauen und noch mehr Alkohol
Die Chansons, bekannte und weniger bekannte, singt Aznavour selbst. Noch vor seinem Tod 2018 war er an der Vorbereitung des Films beteiligt. Er war ein Arbeitstier und schenkte sich nichts. Wenn er am Abend der Beerdigung seines Sohnes auf der Bühne des Olympia steht, fühlt man seine immense Trauer und den Schmerz, den er in sich hineinfrisst, aber er gehorchte der Pflicht. Auch anderen schenkte er nichts.
So bleiben Aznavours dunkle Seiten nicht ausgespart. Sein Hang zu Alkohol und Frauen, nicht unbedingt den eigenen, Vernachlässigung der Familie durch den von Ehrgeiz Getriebenen, erst spät findet er seinen emotionalen Fixstern in der Schwedin Ulla. Diese von Bewunderung getragene Hommage an einen außergewöhnlichen Künstler und Symbol französischer Kultur, einen Kämpfer für die armenische Kultur und die Rechte der armenischen Bevölkerung, trifft ins Herz, weckt Wehmut und ein bisschen Nostalgie.
Regie: Mehdi Idir/ Grand Corps Malade (F, 134 Min); Kinos: ABC, Astor Film Lounge im Arri, City Atelier (auch OmU), Leopold, Neues Rex, Rio (OmU), Studio Isabella (OmU), Theatiner (OmU)