Mit dem bildgewaltigen Historiendrama "Der Stern von Indien" liefert Gurinder Chadha eine überaus spannende und lehrreiche Sicht auf die Teilung Indiens.Gabriele Summen
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2017 Kerry Monteen / Tobis Film GmbH / Bend It Films / Pathe Lord "Dickie" Mountbatten (Hugh Bonneville, vierter von links) und seine Frau Edwina (Gillian Anderson) vertreten in Indien die britische Krone.
Den 15. August 1947, den Tag, an dem Indien nach drei Jahrhunderten britischer Kolonialherrschaft endlich unabhängig wurde, verschläft Gandhi einfach. "Es gibt heute nichts zu feiern", konstatiert er weise, bevor er die Augen schließt. Schließlich ist es dem letzten Herrscher - Lord Mountbatten - nicht gelungen, einen einheitlichen indischen Staat in die Freiheit zu entlassen. Der religiös tief gespaltene
Subkontinent
wurde damals in Pakistan und Indien aufgeteilt. Die britische Filmemacherin Gurinder Chadha entstammt selbst einer Familie aus dem nordindischen Punjab, welche nach der Teilung Indiens fliehen musste. In ihrem zu Herzen gehenden, zart-bollywoodesken Historiendrama "Der Stern von Indien" beleuchtet sie eindrucksvoll die politischen Hintergründe, die zu dieser schmerzlichen und verlustreichen Spaltung des Landes geführt haben, deren Konflikte bis heute weiter schwelen. Am selben Tag wie Lord "Dickie" Mountbatten (Hugh Bonneville) zieht Jeet (Manish Dayal), ein junger Mann aus dem Punjab, in den prächtig ausgestatteten und bildgewaltig von Kameramann Ben Smithard in Szene gesetzten Königspalast mit seinen 500 Angestellten ein. Dickies kluge Ehefrau Edwina ("Akte X"-Star
Gillian Anderson) und ihre smarte Tochter Pamela (Lily Travers) sind überwältigt von der Opulenz des Palastes, gegen den sich Buckingham Palace
"wie ein Bungalow" ausnimmt. Der aufrechte Hindu Jeet wird Diener des redlichen Vizekönigs, der übrigens der Onkel des heutigen britischen Prinzgemahls Philip war. Am Hof trifft Jeet seine große Liebe wieder, die
Muslimin Aalia (Huma Qureshi), die aus demselben Dorf wie er stammt und im Palast als Übersetzerin
arbeitet. Ihr blinder Vater (der im Januar verstorbene Bollywood-Star Om Puri in seiner letzten großen Rolle), der sich einst gegen den Briten aufgelehnt hat und dafür im Gefängnis saß, ahnt lange nichts von den heimlichen Gefühlen der beiden. Seine Tochter ist bereits einem Muslim versprochen, denn die Engländer haben ganze Arbeit geleistet: Mit ihrer Maxime "Teile und herrsche" haben sie die Spaltung der Religionsgemeinschaften bewusst vorangetrieben, sodass eine Ehe zwischen dem Hindu und seiner Jugendliebe
mittlerweile unvorstellbar geworden ist. Geschickt spiegeln Gurinder Chadha und ihre Co-Autoren Paul Mayeda Berges
und Moira Buffini den Palast als Mikrokosmos der Konflikte des Vielvölkerstaates Indien. Die "Kick it like Beckham"-Regisseurin nimmt sich viel Zeit, den wohlmeinenden Lord Mountbatten bei seinen schwierigen Verhandlungen mit politischen Führern des Landes zu beobachten. Während Gandhi (Neeraj Kabi) und der Indische Nationalkongress unter Nehru (Tanveer Ghani) einen Einheitsstaat wollen, strebt der muslimische Repräsentant Muhammad Ali Jinnah (Denzil Smith) einen neuen islamischen Staat Pakistan an. Lord Mountbatten aber begreift zu spät, dass Winston Churchill aus geopolitischen Kalkül bereits im Hintergrund kräftig die Fäden zieht. In ihrer klugen Version der Geschichte stellt Chadha Mountbatten als eine Marionette der britischen Regierung dar, die ihre Ölinteressen am Golf mit dem neu gegründeten Staat Pakistan gegen die Sowjets schützen will. Erst nach den Unabhängigkeitsfeierlichkeiten, von denen Gandhi zu Recht nichts wissen will, zeigt sich die tiefe Tragik und Brutalität des Teilungsplans, denn nun müssen Millionen Menschen gegen ihren Willen ihre Heimat verlassen. Während die muslimische Minderheit sich auf den Weg nach Norden macht, sehen sich die Hindus in Pakistan gezwungen, gen Süden aufzubrechen. Deren unvorstellbares Leid und die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern führen dem Zuschauer hochaktuell vor Augen, was passiert, wenn eiskaltes, politisches Kalkül vor Menschlichkeit den absoluten Vorrang hat.