Kritik

Bob Marley singt für den Frieden

Der Kinofilm "Bob Marley: One Love" zeigt, wie die politische Gewalt den Reggae-Musiker aus seiner jamaikanischen Heimat vertrieb
von  Martin Schwickert
Kingsley Ben-Adir als Bob Marley.
Kingsley Ben-Adir als Bob Marley. © Chiabella James/Paramount Pictures/dpa

Im Jamaika des Jahres 1976 gehört politische Gewalt zum Alltag. Die Wahlkämpfe zwischen der sozialdemokratischen "Peoples National Party" (PNP) und der rechtskonservativen, von der CIA unterstützten "Jamaican Labor Party" (JLP) werden in der früheren britischen Kolonie zunehmend mithilfe von paramilitärischen Banden ausgetragen. Über hundert Menschen sterben im Zuge der bewaffneten Konflikte um die Wahl im Jahr 1976.

Mitten in dieser polarisierten Gesellschaft steht ein Mann, der wie kein anderer im Land verehrt wird und mit seinen Reggae-Klängen und politisch-spirituellen Lyrics Körper wie Herzen der Menschen in Bewegung bringt. Bob Marley (Kingsley Ben-Adir) ist eine Ikone auf der Insel. Seine Songs predigen Gerechtigkeit, Einheit, Liebe und Frieden, aber das Haus, in dem Marley lebt und seine Musik aufnimmt, gleicht einer Festung mit bewaffneten Wachen.

Zwei Tage nach den Schüssen steht Marley wieder auf der Bühne 

Seit er seinen Auftritt beim "Smile Jamaica"-Konzert angekündigt hat, das ein Zeichen gegen die Gewalt im Land setzen will, ist Marley zur Zielscheibe parteipolitischer Angriffe geworden. Zwei Tage vor dem Konzert dringen bewaffnete Täter auf das Grundstück und schießen auf Bob Marley, seine Frau Rita (Lashana Lynch) und zwei weitere Personen. Das Attentat steht am Beginn von Reinaldo Marcus Greens "Bob Marley: One Love", der dem 1981 im Alter von 36 Jahren verstorbenen König des Reggae ein verdientes Denkmal setzt.

Der Film wurde in enger Zusammenarbeit mit der Marley-Familie auf die Beine gestellt. Sohn Ziggy, Tochter Celina und die Witwe Rita Marley gehören zu den Produzentinnen. Trotzdem ist aus dem Projekt kein ikonisches Heiligenbildchen geworden, sondern ein intimes, differenziertes Porträt, das dem besonderen Geist Marleys und seiner Musik auf die Spur zu kommen versucht. Dafür nimmt Green, der zuletzt mit "King Richard" (2021) Will Smith zum Oscar verhalf, nicht den Weg zum Ruhm ins Visier, sondern die persönlich-politische Krise, aus der sich der Reggae-Künstler langsam herausarbeitet.

Nach dem Konzert verlässt Marley mit seiner Band die Insel 

Zwei Tage nach dem Attentat steht Bob Marley genauso wie seine Frau und Background-Sängerin Rita trotz Verletzungen unter Polizeischutz auf der Bühne und eröffnet das Set mit dem provokanten Song "War". Aber auch wenn Marley während des Konzerts das Shirt hochzieht und dem Publikum die Schusswunden zeigt, die ihn nicht getötet haben, ist die Angst vor einem weiteren Angriff in seinem Kopf.

Nach dem Auftritt bringt er sich, seine Familie und die Band "The Wailers" aus der Schusslinie und geht ins Exil nach Großbritannien. In London will er frei von Einschüchterungen und Bedrohung zusammen mit dem Produzenten Chris Blackwell (James Norton) ein neues Album kreieren. Mit gebührender Ausführlichkeit zeigt Green den poetischen, musikalischen und spirituellen Schaffensprozess. Die Entstehung einzelner Songs allein am Küchentisch, in gemeinsamen Wohnzimmer-Improvisationen oder Studio-Sessions werden hier in feinen Montagesequenzen simuliert, die den Flow von Marleys Musik tief eingeatmet haben.

Ähnlich wie im Queen-Film "Bohemian Rhapsody" (2018) lassen auch hier neben den Konzerten vor allem die Szenen, in denen die Genese von Stücken wie "Exodus" oder "Jammin" Gestalt annehmen, das Herz höher schlagen. Am Ende steht das legendäre Album "Exodus", das den internationalen Durchbruch von "Bob Marley and the Wailers" besiegelt. Das Reggae-Fieber erfasst ganz Europa und füllt die Konzertsäle in London, Paris, Kopenhagen und West-Berlin.

Er zwingt die politischen Feinde zum Handschlag auf der Bühne 

Marley badet im Rausch des Erfolges, und es ist seine Frau Rita, die ihn im Streit auf den Boden zurückholt. Die fabelhafte Lashana Lynch, die in "Keine Zeit zu sterben" schon Daniel Craigs Bond an die Wand spielte, kann erneut ihre kraftvolle Präsenz beweisen. Sie zeichnet Rita Marley nicht nur als unterstützende Ehefrau, sondern als persönlichen und moralischen Anker des Reggae-Stars.

Als die ersten Anzeichen der Krebserkrankung auftauchen, die Bob Marley drei Jahre später das Leben kosten wird, ist für ihn die Zeit gekommen, um nach Jamaika nicht nur zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren, sondern auch zu den Menschen, für die er seine Musik und seine Botschaft eigentlich geschrieben hat.

In Kingston gibt er 1978 erneut ein Friedenskonzert. In dem voll gefüllten Stadion ruft er die Führer der verfeindeten Parteien auf die Bühne und bringt sie dazu, einander die Hand zu reichen.

Aber "Bob Marley: One Love" nimmt nicht nur Bezug auf den musikalischen und politischen Einfluss des Reggae-Künstlers, sondern zeigt auch seine Verwurzelung in der Rastafari-Religion, die biblische Elemente mit panafrikanischem Gedankengut zusammenbringt.

Es sind nur einige Szenen, die in diese spirituelle Welt einführen, aber zusammen mit den untertitelten Songtexten sind sie für das Verständnis von Marleys religiös-philosophischen Hintergrund unerlässlich. Und so gelingt Green mit "Bob Marley: One Love" ein vielschichtiges Musiker-Porträt jenseits klassischer Biopic-Klischees, das ausgehend von einem zweijährigen Lebensausschnitt mit nur wenigen Rückblenden das persönliche und kulturelle Phänomen erkundet.

Kingsley Ben-Adir, der als Malcolm X in "One Night in Miami" (2020) schon Ikonen-Erfahrungen sammeln konnte, beweist hier erneut seine enorme Wandlungsfähigkeit. Auch wenn er äußerlich keinerlei Ähnlichkeit mit Bob Marley aufweist, füllt Ben-Adir die Figur mit einem sanft glimmenden Charisma und lässt in den Konzertsequenzen durch die präzise imitierte Körpersprache den König des Reggae eindrucksvoll wieder auferstehen.

K: Cadillac, Gloria, Sendlinger Tor, Leopold sowie
Astor im Arri, Gloria, Mathäser, Leopold (auch OmU),
Monopol, City (OmU),
Cinema, Museum (OV)
R: Reinaldo Marcus Green
(Jam/USA, 104 Minuten)

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