Bittersüße Literaturverfilmung: „22 Bahnen“

Audio von Carbonatix
Eine Million verkaufte Exemplare, monatelang in den Top Ten der meistverkauften Bücher: ein phänomenaler Erfolg für ein Erstlingswerk. Caroline Wahls vor zwei Jahren erschienener Roman „22 Bahnen“ über Erwachsenwerden, Liebe und geschwisterlichen Zusammenhalt wartete nur darauf, verfilmt zu werden. Und das Resultat kann sich sehen lassen, nicht nur wegen der herausragenden Besetzung bis in die Nebenrollen hinein.
Tildas Leben in der Kleinstadt bietet wenig Überraschungen. An der Supermarktkasse freundlich lächeln, jeden Tag ins Freibad, sich um die zehnjährige Schwester kümmern und manchmal auch um die versoffene Mutter, als Bezugsperson ein Totalausfall. Eine Familie, die sich durchs Chaos hangelt und das ausgerechnet im traurigsten Haus der Fröhlichstraße wohnt.
Während ihre Freunde das langweilige Kaff schon lange verlassen haben, muss die brillante Mathematikstudentin Geld verdienen, für die Familie ohne Vater Verantwortung tragen, in einem eintönigen Alltag ihr Leben hintenan stellen. Besserung ist nicht in Sicht.
Raus aus der lähmenden Routine
Aber plötzlich scheinen sich die Karten neu zu mischen. Ihr Professor will sie für eine Promotionsstelle in Berlin vorschlagen und dann taucht auch noch der geheimnisvolle Viktor (Jannis Niewöhner) auf, Bruder eines verstorbenen Freundes, der wie sie immer exakt 22 Bahnen schwimmt.
Wird sie sich aus der erstickenden Misere lösen können? Raus aus der lähmenden Routine, Freisein von familiären Pflichten? In ihrem dritten langen Kinofilm geht Mia Maariel Meyer das Thema behutsam an. Wenn Tilda sich sagt, wir sind eine überwiegend normale Familie, versucht sie krampfhaft, an diese Lüge zu glauben, sich an der Illusion festzuklammern.
Sie liebt ihre kleine Schwester, für sie die „Hälfte von einem Ganzen“ und möchte sie fit machen fürs Überleben in prekären Verhältnissen. Luna Wedler spielt überzeugend die starke, dennoch in sich zerrissene Identifikationsfigur und Zoë Baier das mutige kleine Mädchen.
Einfach mal durchatmen
Als zärtliches Geschwisterpaar vermitteln sie in ihrer Selbstbehauptung ein bewundernswertes und immer glaubwürdiges Miteinander. Und dann dieses Band, das sie mit Viktor verbindet, das ohne große Worte auskommt, Hoffnung sprießen lässt. Innere Monologe ermöglichen Einblick in die Seelenlandschaft, es gibt keine schnellen Schnitte, größtenteils ruhige Kameraeinstellungen und eine Musikmelange, die Emotionalität, Sehnsucht und Leid einen spezifischen Klang verleiht.
Auf die zurückhaltende und manchmal schwer zugängliche Erzählung mit bittersüßem Beigeschmack muss man sich einlassen, einfach mal durchatmen. Und vielleicht nur zuschauen, wie sich eine junge Frau „freischwimmt“.
R: Mia Maariel Meyer (D 102 Min.): K: Astor Film Lounge im Arri, City Atelier, Gloria, Leopold, Mathäser, Neues Maxim,
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