Berlinale-Auswahl: Das ganz Große, das ganz Private
Berlin - Der Kinosommer kann kommen, falls nicht Inzidenzzahlen und R-Wert einen Strich durch die Rechnung machen. Für das Publikum gibt es dann tolle deutsche Filme, die es gerade in den internationalen Wettbewerb der Berlinale geschafft haben und jetzt leider nur von wenigen Akkreditierten online zu sehen sind. Jeder ist auf seine Art unterhaltend, verstörend oder delikat.
"Fabian oder Der Gang vor die Hunde": Fast drei Stunden von Dominik Graf
Dominik Graf hat sich einiges vorgenommen mit seiner freien Adaption des Erich Kästner-Romans "Fabian oder Der Gang vor die Hunde", Zeugnis einer Zeit sozialen und politischen Zerfalls. Fast drei Stunden taucht er ein in das Panoptikum Anfang der 30er Jahre, eine Welt der Unsicherheit, des aufkommenden Faschismus und des Zusammenpralls staatlich verlangter Ordnung und Hedonismus.
Der verhinderte Poet Fabian (Tom Schilling), der seine Brötchen als Werbetexter verdient, und sein betuchter Freund und Kommunist Labude (Albrecht Schuch) schlagen sich die Berliner Nächte um die Ohren. Während Labude unter der Trennung seiner Freundin leidet, verliebt sich Fabian in eine junge und ambitionierte Frau. Als die sich mit einem Produzenten einlässt, um als Schauspielerin Karriere zu machen, verliert er den Boden unter den Füßen.
"Fabian": Zwischen Tragik, Pessimismus und Ironie
Im Gegensatz zur literarischen Vorlage legt Graf den Schwerpunkt auf die zärtliche Liebesgeschichte, bleibt aber seinem Hang zur verkünstelten und verkopften Erzählweise treu. Dabei setzt er in klugen Collagen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Bezug zueinander. So blinken schon mal mitten in der Handlung goldene Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer des Holocaust aus dem Pflaster, im nächsten Moment marschieren Braunhemden in schwarzen Stiefeln vorbei. Zwischen Tragik, Pessimismus und Ironie ist das alles wahrlich keine einfache, wenn auch streckenweise fesselnde Kost.
"Nebenan": Regiedebüt von Daniel Brühl
Nicht um das große Ganze, sondern um das ganz Persönliche geht es bei Daniel Brühls Regiedebüt "Nebenan", in dem wohl viel von ihm als Schauspieler steckt. Nicht umsonst heißt der Protagonist auch Daniel. Der erfolgreiche Filmstar lebt mit Frau, zwei Söhnchen und einem spanischen Kindermädchen in einem schicken Berliner Penthouse. Auf dem Weg zum Flughafen, um in London für einen Hollywoodfilm vorzusprechen, macht er Station in einer Eckkneipe, um bei einem Kaffee noch einmal seine Rolle durchzugehen. Und gerät an einen Fremden namens Bruno, der sich in seinem Privatleben scheinbar besser auskennt als er selbst.
Brühl als patenter Promi und Peter Kurth als perfider Nachbar schenken sich nichts in diesem perfekten Mix aus schwarzer Komödie und Thriller ähnlichem Kammerspiel, auch wenn der smarte Glückspilz letztendlich als Verlierer vom Feld zieht. In treffsicheren Dialogen kommt alles zur Sprache: Gentrifizierung und Abgehängtsein auf der einen, falscher Stolz und falscher Ruhm auf der anderen Seite.
"Nebenan": Triumphales Schauspielfest mit Brühl und Kurth
Wie langsam die perfekte Fassade bröckelt, die nackte Angst zunimmt, Höflichkeit und Eleganz verschwinden, selbst Brühls Haare sukzessive fettiger und strähniger werden und Kurths biedere Behäbigkeit in Bösartigkeit umschlägt, das erweist sich als triumphales Schauspielfest, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Brühl erzählt von einer Welt, die er aus Erfahrung kennt, auch wenn er die Figur nicht als exakte Kopie seiner selbst verstanden wissen möchte. Ein Superstart ins Regiegeschäft.
"Ich bin dein Mensch": Verliebt in einen humanoiden Roboter
Wer möchte nicht den idealen Partner, der uns jeden Wunsch von den Augen abliest, für uns da ist und nur eins im Sinn hat, uns glücklich zu machen? So einen Prachtkerl mit blitzblauen Augen soll Wissenschaftlerin Alma (Maren Eggert) in "Ich bin dein Mensch" gegen gutes Honorar für drei Wochen testen. Der Haken: Tom (Dan Stevens) ist nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein humanoider Roboter. Während sie ihn nur als komplex programmierten Algorithmus betrachtet, verfügt er über die Fähigkeit, Einsamkeit zu vertreiben, Sehnsucht nach Liebe und Vertrauen zu erfüllen. Sich in ihn zu verlieben, passt nicht in ihre rationale Welt.
Das mag kitschig klingen, ist es aber mitnichten. Maria Schrader trifft in dieser wunderbar märchenhaften Versuchsanordnung einen wunden Punkt, blickt in Seelenabgründe und räumt rigoros psychologische Hürden beiseite, die uns vor emotionalen Verletzungen schützen sollen und eigentlich am Leben hindern. Tom zerpflückt in seiner Naivität Pseudo-Witzchen ("Alles klärchen"), führt Schadenfreude, Egozentrik und Egoismus ad absurdum.
Maria Schrader: Künstliche Gefährten zivilisierter und friedlicher?
Vielleicht hat Alma Angst, "dass Tom und seine künstlichen Gefährten die höher entwickelten Wesen sein könnten, jedoch nicht gewalttätiger und kälter, sondern altruistischer, zivilisierter, friedlicher: höhere Wesen, die auf kurz oder lang den herkömmlichen Menschen obsolet machen", charakterisiert Schrader die Beziehung und eine mögliche Zukunft.
Am Ende steht die existenzielle Frage: Ist der Mensch wirklich gemacht zur Erfüllung seiner Wünsche und Sehnsüchte? Oder gehört der Konflikt, die Veränderung, die Enttäuschung, die permanente Veränderung zu unserem Dasein? Da kommt man schon ins Grübeln. Aber mit diesen deutschen Kinobeiträgen sollte der Kinosommer funktionieren - wenn nicht eine dritte Welle...
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