"Berlin Syndrom": Eingesperrt hinter Panzerglas

Ein Berliner Englischlehrer, der beim Flirt mit einer australischen Touristin ständig nach den richtigen Worten sucht, nicht einmal die Übersetzung von Gartenzwerg, also "lawn gnome", parat hat: Wer bei der ersten flüchtigen Begegnung von Andi (Max Riemelt) und Clare (Teresa Palmer) stutzig wird, dem schüchternen Vortrag des Pädagogen nicht so wirklich Glauben schenken will, liegt in "Berlin Syndrome" völlig richtig.
Dieser Andi ist in Wirklichkeit ein Frauenentführer, ähnlich brutal wie Wolfgang Priklopil, der Mann, der Natascha Kampusch 3096 Tage gefangen hielt. Die australische Regisseurin Cate Shortland ("Somersault") bemüht sich, diesen Andi nicht zu dämonisieren. Nach außen hin wirkt er smart, freundlich, wird von den Schülerinnen gemocht, vom jovialen Professoren-Vater (Matthias Habich) respektiert, aber im Innern ist er gefühlskalt, ein Kontrollfreak, ein Mensch, der gezeichnet ist von der eigenen DDR-Vergangenheit.
Seine Mutter machte kurz vor der Wende rüber, ließ Vater und Sohn im Stich. Mit diesem Trauma versucht Shortland den Drang von Andi zu erklären, naive Touristinnen in seine abgelegene, mit Panzerglas geschützte Hinterhof-Wohnung zu locken, nur um sie genau wie Clare nie wieder gehen zu lassen. Diese platte Psychologisierung wirkt wie der Titel der Romanverfilmung nicht ganz stimmig. Denn vom Stockholm-Syndrom, bei dem Opfer von Geiselnahmen mit dem Täter sympathisieren, spürt man hier wenig.
Die introvertierte Fotografin mag sich nach Liebe sehnen, doch mehr als eine gemeinsam verbrachte Nacht, ein kleines Abenteuer ist dieser Andi, gegen den sie sich bald mit aller Kraft wehrt, für sie nicht. Was das Kammerspiel trotz einiger Längen dennoch sehenswert macht, sind der realistisch-beklemmende Inszenierungsstil, der vor dramatischen Übertreibungen zurückschreckt, und das intensive Spiel der Jungstars in den Hauptrollen.
R: Cate Shortland (Aus, 116 Min.)
Kino: Monopol