AZ-Filmkritik zum neuen Peter Handke-Film: Der Poet geht in die Pilze

Computer „erotisieren“ ihn nicht, deshalb hackt er seine Texte in eine mechanische Schreibmaschine oder schreibt gar mit der Hand. Der österreichische Schriftsteller Peter Handke ist ein Phänomen, sorgte über Jahrzehnte für Irritationen, angefangen von der „Beschreibungsimpotenz“, die er 1966 seinen Kollegen von der „Gruppe 47“ vorwarf, über sein Theaterstück „Publikumsbeschimpfung“ bis hin zu seiner pro-serbischen Haltung: Die löste scharfe Kontroversen aus, die ihn bis heute zutiefst verletzen.
Corinna Belz („Gerhard Richter Painting“) begleitete diese enigmatische Figur über drei Jahre, schlägt den Bogen vom angriffslustigen Newcomer, der sich provokant dem Literaturbetrieb verweigerte und in den 1960er Jahren als „Popstar“ der deutschsprachigen Literaturszene galt, bis hin zum noch nicht abgeklärten 74-Jährigen, der sich die existenzielle Frage stellt: Wie sollen wir leben?
Der Intellektuelle in einem Pariser Vorort überrascht mit seiner fast kindlichen Freude am Schwammerlsammeln und -putzen, er wuselt fleißig im Garten, versucht beim Sticken geduldig einen Faden in die Nadel einzufädeln oder entspannt sich beim Lesen auf der Chaiselongue. Das Haus, ein verwunschener Ort, ist seine „Rettung“. Es sind nicht nur die Alltagskleinigkeiten, die den Charme dieses Dokumentarfilms ausmachen, sondern die Verbindung mit Handke-Texten, die der Meister bei langen Zugfahrten oder Spaziergängen aus dem Off liest.
Belz nutzt beim Versuch, Sprache und Literatur bildlich erfahrbar zu machen, Zitate, Notizbücher und Schrift. Eine spannende Kombination, die beim Zuschauer aber ein hohes Maß an Konzentration erfordert. Den Grundstock bilden Handkes Romane, Essays, Gedichte, Theaterstücke, Drehbücher, von ihm verfasste Zeitungsartikel und Übersetzungen. Dazu kommen Archivaufnahmen und Archivtöne sowie zahlreiche Polaroids von Handke und seiner Familie, Aufnahmen von Landschaften und Straßen – Spiegel für ganz bestimmte Zeitabschnitte.
Die Chronistin scheitert nicht an dem eigenbrötlerischen Autor, der sich nicht inszenieren lässt und jedes Wort abklopft, jede Frage auf die Goldwaage legt. Trotz Distanz schafft sie große Intimität. In der von ihm verachteten „scheißtechnischen Welt“ frönt er der Entschleunigung, sein elftes Gebot heißt „Du sollst Zeit haben“. Die sollte man sich nach dieser faszinierenden Begegnung mit diesem Faszinosum nehmen, um sich mit neuer Lust in sein Werk zu vertiefen.
Regie: Corinna Belz (D 2016, 89 Min.)
Kinos: City, Studio Isabella