„Avatar: Fire and Ash“: Das Prinzip Überwältigung

Neo, Frodo, Harry. Die Liste der Heilsbringer im Blockbuster-Kino ist lang - und männlich besetzt. Auch der dritte Teil der Sci-Fi-Saga „Avatar“ kreist um eine Außenseiter-Erlöserfigur. Diesmal ist es jedoch eine junge, feinsinnige Frau, die Na’vi Kiri (digital verjüngt und transformiert: Sigourney Weaver), die mit ihren Kräften entscheidend am Schicksalsrad dreht. Und mehr noch. Mit ihrer Heilenergie gelingt es Kiri sogar, einen Menschen, den Tarzan ähnlichen Spider (Jack Champion), so zu verwandeln, dass er auf dem fremdartigen Planeten Pandora wundersam ohne Sauerstoffmaske leben kann. Womit James Cameron, der Regisseur dieser sagenhaft erfolgreichen (und teuren) Blockbusterreihe sogar einen weiteren Heilsbringer einführt.
Bevor es aber soweit ist, gilt das Prinzip Verlustbewältigung.
Unmittelbar an den zweiten Teil der Reihe „The Way of Water“ knüpft die 400 Millionen Dollar schwere Produktion an. Mit dem Wissen, dass sich Neteyam (Jamie Flatters), der älteste Sohn von Hauptfigur Jake (Sam Worthington) für seine Familie wie ein Märtyrer geopfert hat.
Die Trauer verarbeitet jeder auf seine Weise. Jake, nach außen hin gern das unangenehm autoritäre Familienoberhaupt, verdrängt nach Waffen tauchend seine Schuldkomplexe - immer in der Erwartung der nächsten Schlacht, des nächsten Konflikts. Seiner Frau Neytiri (Zoe Saldaña) gibt nur noch der Glauben halt, während der jüngere, von Jake abgelehnte Sohn, Lo’ak (Britain Dalton), verzweifelt Anerkennung sucht. Seinem Weg aus der Bitternis väterlicher Missachtung widmet Cameron auffallend viel Zeit. Bevor jedoch die Handlung um die Krisen ihrer Figuren kreisend stagniert, führt der gewiefte Hit-Macher („Titanic“, „Terminator“) die Windhändler ein. Ein Nomadenvolk, dass mit umwerfend eleganten Luftschiffen - die floralen Segel könnten vom Schmuck- und Glaskünstler René Lalique stammen - anreist.
Charlie Chaplins Enkelin als Kriegerin
Auf ihren Booten will die von Trauer und Schuld zerrissene Familie dem Ort des Schmerzes entfliehen. Unter dem Vorwand, die wichtigen Sauerstoffmasken für den Adoptivsohn Spider ausfindig machen zu müssen. Auf dieser Reise ins Ungewisse folgt der erste Höhepunkt, eine wuchtige, herausragend inszenierte Actionsequenz, die den Anspruch von „Avatar: Fire and Ash“, ein einzigartiges 3D-Kino-Erlebnis zu sein, auch einlöst. Aus der Luft, auf Flugsaurier artigen Kreaturen, greift der Mangkwan-Clan an. Vorneweg Varang (Oona Chaplin, Enkelin von Charlie Chaplin), eine wild geifernde Kriegerin mit feurig rotem Federschmuck. Sie gehört zum Volk der Asche, einem verbitterten, rachsüchtigen Ureinwohner-Stamm, der Assoziationen weckt an alte Western mit John Wayne, in denen es oft auch die „bösen Indianer“ geben musste. Passend zu dieser Analogie sind Varang und ihr zombiehaftes Gefolge auch käuflich, lassen sich vom „Avatar“-Oberbösewicht Colonel Quaritch (Stephen Lang) dazu verführen, den Handel mit Schusswaffen einzugehen. Zum Preis, seinen illegitimen Sohn Spider mit aller Gewalt aufzuspüren.

Vom Moment des Angriffs auf die Luftschiffe folgt Cameron fast sklavisch der Dramaturgie des originelleren zweiten Teils „Way of Water“. Erneut wird die Familie auseinandergerissen, ist mal auf der Flucht und dann wieder gefangen. Das ewige Prinzip des Actionkinos möchte Cameron nicht durchbrechen. Und so gibt es auch hier den überlangen Showdown im Wasser, eine Materialschlacht. Um ihre Heimat kämpfende Indigene gegen menschliche Eroberer. Naturvölker gegen brutale Kolonialisten, für die die Fauna und Flora des Planeten Pandora nur Mittel zum Zweck ist. Bei aller Vorhersehbarkeit der Handlung, der Schlichtheit so mancher Dialoge, des aufdringlichen Waffenkults, ist es aber nicht nur die technisch perfekt animierte Wunderwelt, die einen Trip in den „Avatar“-Kosmos auch beim dritten Mal sehenswert macht.
Kiri, Tochter von Jake und bisher eher eine absonderliche, schwer greifbare Randfigur bekommt von Cameron nun endlich eine besondere, durchaus bezaubernde Rolle zugedacht. Eywa, die mit allem vernetzte Lebenswelt von Pandora, gilt es für Kiri zu entschlüsseln. Die zarte, kampfuntaugliche Kindfrau wird somit zu einer Schlüsselfigur, die eine Verbundenheit zur Natur nicht nur behauptet, sondern fühlt. Eine Szene, in der es Kiri gelingt mit einer spirituellen Eywa-Verbindung das Leben von Spider nicht nur zu retten, sondern auch zu verwandeln hätte leicht in Esoterik-Kitsch abgleiten können, wirkt in der geschlossenen „Alles ist mit allem verbunden“-Welt von „Avatar“ aber stimmig, gar ergreifend.

Überhaupt fühlt sich dieser dritte Teil wie ein Endpunkt in einer über 15 Jahre langen Film-Reise für James Cameron an. Aber wer weiß? Wenn die Kassen wie bei den Vorläufern weltweit heftig klingeln (Platz 1 und 3 der ewigen Filmbestenliste), dürfte es mit der Erkundung von Pandora auch in den nächsten Kinojahren weitergehen.
Kino: Arri, Astor im Bayerischen Hof, Cadillac, Cinema (OV), Cincinnati, Cinemaxx, Gloria, Mathäser, Museum Lichtspiele (OV), Royal R: James Cameron (USA, 195 Min.)