Aufstieg aufs Hochplateau: Das 40. Dokumentarfilmfestival München startet

Genau 105 Filme zeigt das 40. Dok.Fest München von übermorgen, 7. Mai an – erst ausschließlich in Kinos und auf großer Leinwand, dann auch digital. Für den Leiter Daniel Sponsel ist das 16. Festival das letzte. Ab Herbst wird er Präsident der Hochschule für Fernsehen und Film.
AZ: Herr Sponsel, was haben Sie noch schnell erneuert, bevor Sie Ihre neue Aufgabe an der HFF antreten?
DANIEL SPONSEL: Erstmal: Ich habe das 40. Dok.fest München noch komplett mitgeplant und werde es bis zur letzten Minute begleiten und sogar noch nachbereiten können. Und dann: Es gibt eine neue Programmstruktur, damit die Besucherinnen und Besucher sich besser orientieren können: Es gibt jetzt Themen für jede der 16 Reihen – wie zum Beispiel "Brave New Work?" über die Arbeitswelt oder "The Sound of Music" oder "Family Affairs". Und dann hinterlasse ich noch etwas Wichtiges: Es wird für Produzenten interessanter, beim Dok.Fest einen Film zu zeigen. Denn wenn wir ab jetzt einen Film mit deutschem Produktionsanteil in den Hauptwettbewerb nehmen, gibt es automatisch sogenannte Referenzpunkte bei der deutschen Filmförderung FFA.
Hat man das schon bei den diesjährigen Einreichungen gemerkt?
Es waren so viele wie noch nie: 1423, nochmal 150 mehr als im vergangenen Jahr. Das ist natürlich auch eine enorme Belastung des Teams. Von den jetzt 105 Filmen, die wir auf der großen Leinwand zeigen, habe ich wahrscheinlich bislang 30 Filme ganz gesehen und 50 bis 60 in großen Ausschnitten. Dazu recherchiere ich aber auch um die Filme herum. Und bei den restlichen bin ich immer noch am Lesen und Trailer-Schauen, damit ich von allen Filmen, die unser Team kuratiert hat, einen Eindruck habe.

Sie müssen hinter allen Filmen stehen, aber haben Sie dennoch persönliche Empfehlungen?
Unser Eröffnungsfilm "Friendly Fire" zum Beispiel ist intelligent und sehr emotional, was sich auch auf den Zuschauer überträgt. Es ist eine persönliche Zeitreise, weil sich hier der Sohn auf die Spuren seines Vaters, des bedeutenden Dichters Erich Fried, begibt. Damit spannt sich der Bogen von der Nachkriegszeit über die 68er und die RAF bis heute. "Soldaten des Lichts" finde ich sehr spannend. Es ist unfassbar, was da diese Gruppe von Reichsbürgern, Esoterikern und Verschwörungstheoretikern den Regisseuren Julian Vogel und Johannes Büttner vor der Kamera erzählt. An diesem Film kann man auch die Entwicklung des Dokumentarfilms sehen. Noch in den 80er-Jahren hat man ein Thema gehabt, die Kamera aufgestellt und das sachlich abgehandelt. Jetzt geht es auch ganz klar um die filmische Kunst, dass der Zuschauer ein spannendes, gutes Kinoerlebnis hat. Ich finde auch "Im Osten was Neues" besonders und relevant: Da geht es um einen Aussteiger aus der harten Neonazi-Szene, der sich ehrenamtlich um die Flüchtlingsintegration und andere Rechts-Aussteiger kümmert. Er lebt vom Bürgergeld und will von der Gemeinde eine Anstellung auf Minijob-Basis, um irgendwie leben zu können. Aber die verzweifelte Bürgermeisterin rechnet ihm vor, dass sie nicht mal diese winzige Summe vom Stadthaushalt her aufbringen kann. Das ist erschütternde bundesrepublikanische Wirklichkeit.

Wieviel Geld braucht man für einen Dokumentarfilm heute?
Ein Dokumentarfilm kann heute so aufwändig produziert sein wie ein großer Spielfilm. Aber nach meiner Einschätzung fängt ein Budget bei 100.000 Euro und großer Selbstausbeutung an. Die meisten Filme werden aber eher eine Viertelmillion gekostet haben. Insgesamt hat der technische Fortschritt zu einer großen Demokratisierung des Filmemachens geführt, wenn man nur noch ein Handy und ein Schnittprogramm braucht.
Was nehmen Sie nicht ins Programm, ist ihnen zu heikel?
Wenn man zum Beispiel den Gazakonflikt nimmt, meine ich: Bei einem Festival sollte man Kontroversen führen können und aushalten. Aber es gibt Themen, da wird ein Film nur noch als Anlass genommen, um ideologische, festgefasste Meinungen und eine Agenda abzuspulen, unabhängig vom Film selbst. Und das bringt dann nichts, damit erreicht man nichts mehr. Das bereichert niemanden mehr.

Bekommen Sie manchmal auch einen Film nicht, den Sie gewollt hätten?
Das passiert, wenn für einen großen Film eine eigene Verleihstrategie entwickelt wurde – also Premiere, Kinostart, TV-Ausstrahlung, und wir da mit unserem Maitermin nicht reinpassen. Aber durch unsere Aufwertung bei der erwähnten Filmförderung wird es seltener als früher passieren, dass wir einen Film nicht bekommen.
In Ihren 16 Jahren: Was hat sich grundlegend geändert?
Technisch kann man immer mehr als Autorenfilmer machen – ausgerüstet mit einem guten Handy. Die gesamte Filmbranche selbst ist durch Corona gebeutelt worden und hat sich davon nie wieder ganz erholt. Und was das Dok.Fest anbelangt: Wir sind als kleines, feines Festival gestartet und haben das Publikum in alle Richtungen ausgebaut und sind in die Stadt hineingegangen, wir sind auch wieder in Solln und neu im Bergson sowie der Pasinger Fabrik – und im großen Deutschen Theater, wo wir unsere Eröffnung haben und auch die ersten Tage Filme zeigen.

Es ging 2010 los mit 12.000 Zuschauerinnen und Zuschauern.
Das stieg dann steil an bis auf 54.000 Zuschauer im Jahr 2019. In der Coronazeit haben wir dann die Online-Version eingeführt und die Zugriffszahlen sogar noch steigern können. Jetzt ist das Dok.Fest hybrid geblieben und hat ein gutes Plateau von über 35.000 Kinozuschauerinnen und Zuschauern erreicht und rund 20.000 online zuhause. Aber wir sind in wirtschaftlich harten Zeiten, man wird sehen, wie sich das entwickelt.
Warum gehen Sie jetzt und machen einen Bürojob?
Beides sind Bürojobs und vor allem Managementjobs. Ich wollte seit einiger Zeit noch einmal etwas Neues machen und habe das schon vor drei Jahren mal gesagt – und da sich jetzt die Chance ergab, zur HFF zu wechseln, war klar: Jetzt oder nie. Ich will auch nicht mit den Füßen voraus aus dem Festival getragen werden. Außerdem muss sich ein Festival wie das Dok.Fest auch immer mal wieder verjüngen.

Ihre bisherige Stellvertreterin Adele Kohout ist jetzt vom Trägerverein zur neuen Chefin ernannt worden, Ihre Frau Maya Reichert zur Stellvertreterin.
Beides ist richtig und sinnvoll. Adele Kohout kennt die ganzen Abläufe, hat die ganzen Kontakte zur Branche und zu Sendern gepflegt und mit mir die ungefähr 30 Sponsoren eingebunden. Es wäre absurd, wenn jemand Neues das ganze Netzwerk wieder von vorne aufbauen müsste, um finanziell und inhaltlich so weitermachen zu können, wie wir das erkämpft haben. Es geht da um vielleicht 60 Institutionen und das beschäftigt einen das ganze Jahr. Und für meine Frau Maya Reichert, die bisher die Sektion Dok.Education geleitet hat, gilt das genauso. Es geht bei alledem um Erfahrung und Kompetenz und die bringen beide in großem Umfang mit.
Ab wann kann man sich bei einer neuen Festivalausgabe als Leiter entspannen?
Das Programmheft kommt raus: Da ist klar, was das Festival leisten kann. Dann die große Pressekonferenz zum Programm, wenn man das, was man gemacht hat, erklärt und spürt, dass es rüberkommt. Und dann natürlich, wenn der Applaus beim Abspann des Eröffnungsfilms kommt. Dann kann die kommenden Tage noch technisch was schiefgehen, aber dann ist man bereits in einer intensiven Festivaleuphorie.
Das Dok.Fest startet am 7. Mai und läuft an verschiedenen Spielorten bis Sonntag, 18. Mai, auf großer Leinwand. Digital können viele der Filme vom 12. bis 25. Mai angesehen werden. Kino: 11 / 9 Euro, online: 5 Euro, Festivalpass: 80 /50 Euro, www.dokfest-muenchen.de