Ates Gürpinar über das "Das Kapital im 21. Jahrhundert"
Millionenfach verkaufte sich Thomas Pikettys Buch "Das Kapital im 21. Jahrhundert": ein Werk, das die Vermögensverhältnisse der letzten Jahrhunderte analysiert. Nun folgt Justin Pembertons gleichnamiger Film, nahezu zeitgleich mit der nächsten Publikation von Piketty. Damit reiht sich der Film in eine Merchandise-Kampagne um den Star Piketty ein und garantiert anhaltende Aufmerksamkeit. Und die ist für die gute Sache nicht schlecht.
Wie das Buch taucht der Film zur historischen Darstellung von Armut und Reichtum in Archive ein und führt eine beeindruckende Menge an Material zusammen. Wo Piketty mit Zahlen und Datenbanken punktete, liefert Pemberton unterschiedlichstes Bildmaterial und illustriert damit Thesen von Piketty und anderen Wissenschaftlern. So rattert der Film durch die Neuere Geschichte bis in die Gegenwart. Schon allein, wie das Material montiert ist, lohnt den Kinogang. Überhaupt ist eine kritische Betrachtung der gegenwärtigen Entwicklung wertvoll genug.
Einladung zum Berieseln und Abnicken
Allerdings gilt die kritische Betrachtung auch für den Film selbst. Er lädt zum Berieseln und Abnicken ein. Wie das Buch durch Zahlenmassen Glaubwürdigkeit generierte, postulieren Wissenschaftler im Film ihre Thesen frontal in die Kamera. Unterstrichen werden sie mit Illustrationen aller Art: ob Interviews von Reagan und Thatcher zum Rückbau des Sozialstaats, Filmausschnitte von der Adaption von Steinbecks "Früchte des Zorns" zur Nachzeichnung der großen Depression, oder die Bebilderung von Reichtum durch Yachten und ein bisschen Glitzerglitzer: Die Darstellung zur jeweiligen These ist eindrücklich – selten hat sie Beweiskraft. Somit ist es die Pflicht des Zuschauers, den interessanten Thesen des Films kritisch zu begegnen.
Zunächst ist zu sagen: Weder Kapitalismuskritik noch die Lösungsvorschläge sind neu. Ich werde als bayerischer Linker nicht müde zu betonen, dass der Gründer des Freistaates, Kurt Eisner, den Staat abseits des Kapitalismus zu gründen suchte.
Im Film geht es weniger um die Überwindung des Kapitalismus, sondern um die Eingrenzung der Auswüchse. Ideen dafür haben historische Vorbilder im Kapitalismus selbst: etwa progressivere Vermögens- und Erbschaftssteuern. Heute, in Zeiten der Globalisierung, ergänzt der Film das um transnationale Forderungen, etwa nach dem Austrocknen von Steuerparadiesen. Das sollte die größten Übel abstellen. Das würde es auch. Auf die progressive Steuergesetzgebung in der Nachkriegszeit nehmen Film wie Buch positiv Bezug. Es war die Zeit, in der das Versprechen, dass viele am sozialen Aufstieg teihaben könnten, ganz gut eingelöst wurde. Das Problem aber ist, dass nicht beschrieben wird, auf welchen Druck solche sozialen Regelungen eingeführt wurden. Film wie Buch bilden zwar Geschichtsverläufe ab, sagen aber nicht, wer diese Fortschritte erkämpft hat.
Es gibt keine Neutralität
Es waren gesellschaftliche Auseinandersetzungen in- und außerhalb der jeweiligen Länder, die notwendigen Druck auf die Regierungen und die Reicheren ausübten. Mit umgekehrten Vorzeichen verhält es sich bei der Abkehr von diesen Steuern: Steigender Einfluss des Kapitals führte zu marktradikalen Gesetzen und wachsender Ungleichheit. Das bedeutet: Um neue Regelungen einzuführen, braucht es den Aufbau kritischer Bewegungen, und um einen Roll-Back in der fernen Zukunft zu verhindern, müssen wir tiefer in die kapitalismuskritische Kiste greifen.
Aber der Film verkennt nicht nur die Rolle der politisch-sozialen Bewegungen, sondern auch die der Regierung. Der Film suggeriert, dass sie sich gegenwärtig raushalte und zum Eingreifen bewegt werden müsse. Das ist falsch: Regierungen greifen immer ein, die Frage ist nur, für oder gegen wen: Rechte und Marktradikale kämpfen gegen die Ärmeren, auch in der Regierung. Jüngstes Beispiel waren die Novellierungen des Polizeiaufgabengesetzes. Da es aber keine Neutralität gibt, reicht es nicht, Kapital und Regierenden ins Gewissen reden zu wollen.
Genauer hinschauen
Am prägnantesten wird dies, wenn der Film einen Vergleich zwischen der Gegenwart und Vorkriegszeiten herstellt und behauptet, dass die Weltkriege allen geschadet hätten, auch dem Kapital. Das ist mehrfach falsch. Kapital und Vermögen wurden während der Weltkriege zwar geringer, aber die Reichen blieben zumeist reich – übrigens selbst in der Bundesrepublik. Die Weltkriege haben den Armen und Ausgegrenzten unendlich viel mehr Leid zugefügt. Der Glaube daran, dass wir irgendwie alle im selben Boot säßen, führt in die Irre.
Dies hat übrigens auch der kritische Teil der Klimaproteste erkannt. Die Hoffnung einiger, dass auch die Reichen zur Vernunft kämen, weil sie Opfer der Klimakatastrophe seien, ist leider nicht korrekt. Der Großteil der Reichen wird sowohl Klimakatastrophen wie auch Kriege im Reichtum überleben. Es sind die Ärmsten der Welt, die ungleich mehr und schon jetzt betroffen sind.
Eingestanden – und das ist das Schöne am Film: Während die Wissenschaftler das auslassen, werden diese Probleme in einigen Sequenzen und dystopischen Zukunftsvisionen durchaus angedeutet. Dafür muss man genauer hinschauen. Letztlich liegt es aber an uns, für die richtigen Thesen des Films zu streiten.
Also: Lassen Sie sich 100 Minuten – nicht nur – berieseln. Spätestens danach bleibt ihnen allerdings nichts anderes übrig, als vom Kinosessel aufzustehen, der noch härteren Realität ins Auge zu blicken und aktiv zu werden.
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