Anton Corbijn über die Zeit, als Cover noch Kunst waren
Die Londoner Agentur Hipgnosis gestaltete viele der berühmtesten Plattencover der Siebziger - und viele der exzentrischsten und teuersten. Storm Thorgerson und Aubrey Powell fotografierten rote Bälle in der Sahara (für "Elegy" von The Nice), eine Trophäe auf einem Alpengipfel ("Wings Greatest") und ein fliegendes Riesenschwein, was nach einem Malheur zur Sperrung des Flughafens Heathrow führte ("Animals" von Pink Floyd). Für "Look Hear?" von 10cc legten sie ein - mit Valium beruhigtes - Schaf auf eine eigens angefertigte Psychiatercouch, die inmitten der Meereswellen von Hawaii stand. Und für "Wish You Were Here" von Pink Floyd zündeten sie einen Mann an. Der mindestens ebenso berühmte Fotograf und Cover-Künstler Anton Corbijn erzählt von diesen und noch viel mehr Geschichten in seinem grandiosen, sehr lustigen Kino-Dokumentarfilm "Squaring The Circle - The Story of Hipgnosis".
AZ: Herr Corbijn, was war das erste Album mit einem Hipgnosis-Cover, das Sie besessen haben?
ANTON CORBIJN: Ich bin nicht ganz sicher, in jedem Fall ein Pink Floyd-Album, wahrscheinlich "Atom Heart Mother". Ich habe auch die Platte geliebt. Man erinnert sich nicht an ein Cover, wenn sich darin schlechte Musik verbirgt. Für den Stellenwert von Cover-Künstlern ist es deshalb entscheidend, mit welchen Musikern sie arbeiten.
Hipgnosis hatten viele gute Auftraggeber. Wieso wollten Sie einen Film über sie machen?
Aubrey "Po" Powell, das letzte verbliebene Mitglied von Hipgnosis, hat mich gefragt, ob ich diesen Film machen will. Ich habe erst nein gesagt, weil ich nicht in eine Schublade gesteckt werden möchte. Als ich meinen ersten Spielfilm "Control" über Ian Curtis gemacht habe, hieß es: Der Musikfotograf macht einen Musikfilm. Es ist so leicht, mich in diese Schublade zu stecken, aber das trifft nicht, was ich mache. Ich habe danach alle Filme abgelehnt, die von verstorbenen Musikern handeln sollten, und habe etwas völlig anderes gemacht, "The American". Ich wollte sehen, ob ich einen Film über ein Thema machen kann, das mich nicht so sehr interessiert. Powell musste ich also erst mal absagen, weil der Film mit Musik zu tun hat.
Aber dann?
Dann kam er nach Amsterdam, und ich merkte: Er hat eine Menge großartiger Geschichten auf Lager - und ist ein toller Verkäufer und kann toll erzählen. Und Hipgnosis haben viele großartige Cover gemacht, und ich liebe Cover. Also habe ich zugestimmt. Ich hatte aber noch nie einen richtigen Dokumentarfilm gemacht und wusste nicht, was auf mich zukommt.
Wie ist es im Vergleich zum Spielfilm?
Beim Spielfilm dreht man alle Szenen und weiß, man ist fertig. Wenn man ein Foto macht, weiß man das auch. Beim Dokumentarfilm denkt man, man könnte noch hiervon und davon etwas gebrauchen, und so kann es dann leicht mal zweieinhalb Jahre dauern.
Welche Geschichte hinter einem Hipgnosis-Cover hat Sie besonders fasziniert?
Zum Beispiel die von Led Zeppelins "Houses Of The Holy", als absolut alles schief ging. Dazu muss ich erwähnen, dass wir uns überlegt haben, ob wir das Cover mit den nackten Kindern überhaupt zeigen sollen. Einige der Produzenten hielten es für anstößig. Aber ich sagte: Kommt schon, das Album findet man in jedem Plattengeschäft.
Wie auch Pink Floyds "Wish You Were Here". Würden Sie für ein gutes Plattencover auch jemanden anzünden?
Ich glaube nicht. Aber ich bin froh, dass sie es gemacht haben.
Hipgnosis haben den armen Stuntman sogar fünfzehn Mal angezündet, wie man in Ihrem Film erfährt.
So war Aubrey Powell, er hat immer weiter gepusht. Ich bin eher der Typ, der sich entschuldigt.
Im heutigen Zeitalter von Photoshop würde das Bild eines brennenden Mannes niemanden mehr interessieren. War es vor dem digitalen Zeitalter einfacher, interessante Fotokunst zu machen?

Ich denke schon. Die Bilder waren damals einprägsamer. Heute sind wir alle Fotografen, alle machen Bilder, man hat nicht das Gefühl, dass etwas davon alle Zeiten überdauern wird. Diese Plattencover hingegen haben schon fünfzig Jahre überdauert und die Leute lieben sie immer noch. Das war die Zeit, als Plattencover Kunstwerke waren. Sie hatten Bedeutung, auch mir haben sie damals viel bedeutet. Ich habe alles genau angeschaut, was auf einem Cover stand. Noel Gallagher machte das genauso, wie er im Film sagt. Es gab einfach keine anderen Informationsquellen.

Der Film hat einen grandiosen Protagonisten: Storm Thorgerson, ein streitlustiger Typ mit dem "Ego von der Größe eines kleinen Planeten", wie er selbst sagt. Er ist wohl der einzige Mensch im Musikbusiness, der jemals zu Paul McCartney gesagt hat: "Deine Idee interessiert mich nicht, Paul".
Es war sicher ein Alptraum, mit Storm zu arbeiten. Aber ich habe ihn sehr liebgewonnen und bewundere seine Haltung, seinen Mut. Allerdings hätte er sicher jedes Unternehmen in den Untergang getrieben.
Bei Hipgnosis war es in den Achtzigern soweit, als sie anfingen Filme zu machen und bankrott gingen. Praktisch alle Rockstars, mit denen die Agentur zuvor gearbeitet hatte, standen nun vor Ihrer Kamera. Mussten Sie die nur anrufen? Oder waren manche schwer zu kriegen?
Sie sind alle schwer zu kriegen. Manche kannte ich schon vorher. Andere erkannten nach ein paar Monaten, dass es vielleicht die letzte Gelegenheit sein könnte, ihre Liebe zu Hipgnosis zum Ausdruck zu bringen. Paul McCartney war der Letzte, der zugesagt hat. Er macht so viel und versucht, nichts mehr zu machen, was nicht direkt mit ihm selbst zu tun hat. Colin Firth, der den Film mitproduziert hat, hat ihm eine Nachricht geschickt, dann hat er zugesagt.

Hat Sie irgendein Gespräch besonders beeindruckt?
Mich hat an allen beeindruckt, an wieviel sie sich erinnern. Die meisten von Ihnen haben ja heftige Rock'n'Roll-Phasen durchlebt, und dann erinnern sie sich fünfzig Jahre später noch so klar an alles. Besonders Jimmy Page hat ein unglaubliches Gedächtnis. Und ich liebe Peter Gabriel, es war schön, ihn wiederzusehen.
Ihre eigene Arbeit ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Hipgnosis, oder?
Ja. Sie kamen vor Punk, ich nach Punk.
Das müssen Sie erklären.
Nach Punk hat man all diese früheren Bands als Dinosaurier-Rock bezeichnet. Und man hätte danach niemals für ein Plattencover ein Schaf auf einer Couch fotografiert.
Hipgnosis hat die Exzesse des Siebziger-Rock perfekt illustriert, oder?
Ja, und dabei haben sie großartige Sachen gemacht. Manches war auch geschmacklos, aber das haben wir im Film natürlich nicht betont. Die guten Sachen sind so großartig - es reicht, sich die anzusehen.
Welches Cover mögen Sie am liebsten?
Ich liebe das Peter Gabriel-Cover, auf dem er im Auto zu sehen ist. Aber ich mochte das Album zu der Zeit auch sehr, das lässt sich für mich schwer trennen.
Parallel zum Abspann Ihres Films läuft der Song "Art For Art's Sake" von 10cc. Wie schwer war es, sich unter den tausenden möglichen Songs zu entscheiden?
Gar nicht schwer. Das war die Idee des Editors, und ich habe gesagt: Passt.
Ist es so einfach, mit Ihnen zu arbeiten?
Wenn etwas passt, dann passt's eben. Der Song fasst alles zusammen, wofür Hipgnosis standen: Kunst um der Kunst willen, und jetzt her mit dem Geld. Das trifft genau, was wir im Film erzählen.
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