Amerikanischer Drahtseilakt

Robert Zemeckis erzählt die wahre Geschichte eines Seiltänzers – und vergibt manchmal Spannungs-Chancen. Ein dauerquasselnder Ich-Erzähler stört dabei etwas die Umsetzung der schwindelerregenden Kameraperspektiven auf dem Drahtseil.
Florian Koch |
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Ohne Kino keine Wolkenkratzer. Oder wenigstens keine, die im kollektiven Gedächtnis landen. Denn was wäre das Burj Khalifa ohne einen „Mission-Impossible“- Einsatz von Tom Cruise? Auch das Empire State Building profitierte vom wütenden Fassadenkletterer King Kong. In „The Walk“ huldigt Robert Zemeckis („Zurück in die Zukunft”) jetzt einem Hochhaus, das seit dem 11. September 2001 gar nicht mehr gibt: dem World Trade Center.

Zemeckis erzählt von dem Tag, als die Zwillingstürme von den New Yorkern nicht mehr nur als zwei Stahlklötze im Rohbau wahrgenommen wurden, sondern ihnen – wie es im Film heißt – eine „Seele“ eingehaucht wurde: Es ist der 7. August 1974. Ein Tag vor dem Rücktritt von Richard Nixon dominierte aber nicht der taumelnde US-Präsident, sondern ein 24-jähriger Franzose mit seinem Wagemut die Schlagzeilen. Mit einem Husarenstreich gelang es Philippe Petit ein Seil zwischen den Twin Towers zu spannen und darauf in über 400 Metern Höhe ohne Netz und doppelten Boden zu stolzieren. Dieser „Walk“ ging in die Geschichte ein, und wurde 2008 in dem oscargekrönten Dokumentarfilm „Man on Wire“ rekonstruiert.

 

Der Ich-Erzähler stört, der Franzose ist etwas geglättet

 

Warum also eine Neuverfilmung? Die Antwort liegt in der 3D-Technik. Zemeckis, ein Fan von Neuerungen, (man denke an Forrest Gumps fiktives Treffen mit John F. Kennedy), wollte den Rausch der Tiefe, die gewaltige physische und psychische Leistung Petits für alle schwindelfreien Kinogänger spürbar machen. Und dieses Vorhaben gelingt ihm auch dank rasanter Kamerafahrten, wobei es aber letztlich die erhaben-poetischen Ruhephasen sind, wie wenn sich der Hochseilkünstler pathetisch verbeugt, die hängen bleiben. In den 90 Minuten zuvor kann Zemeckis die Spannung nicht aufrechterhalten, hängt der brav chronologisch erzählte Drahtseilakt auch mal durch. Größte Schwäche ist die Verwendung eines dauerquasselnden Ich-Erzählers, der manchmal einfach nur akustisch die Bilder doppelt. Bemüht wirkt auch die Amélie-Leichtigkeit, wenn sich Petit im trubeligen Klischee-Paris der 60er als Straßenkünstler durchschlägt und seine große Liebe (Charlotte Le Bon) trifft. Da fehlen nur noch Baskenmütze und Baguette.

Wenigstens in der Besetzung trifft der Film ins Schwarze. Petits verlotterte Verschwörerbande, die – als wären sie Clooney & Co. in „Ocean’s Eleven“ – den großen Coup hier in luftiger Höhe planen, wirkt stimmig. Und Hauptdarsteller Joseph Gordon-Levitt überzeugt mit Körperkunst und Spiellaune, wenn er auch die Clownerie, den Wahnsinn, die Egozentrik des Grenzgängers Petit („Ich begreife das Leben als Herausforderung“) nicht ganz trifft. Aber Zemeckis schien in seiner wehmütigen Hommage an die Twin Towers auch mehr an einer märchenhaft-geglätteten Version der Geschichte interessiert. Sonst hätte er wohl auch davon erzählt, dass der echte Petit vor lauter „Fleischeslust“ gleich den ersten weiblichen Fan, der ihn um den Hals fiel, vernascht hat, während die Freundin auf ihn wartete.

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