"Als Hitler das rosa Kaninchen stahl": Eine Flucht wird zum Abenteuer
Regisseurin Caroline Link (55, "Der Junge muss an die frische Luft") feierte mit "Nirgendwo in Afrika" (2001) große Erfolge. Nun widmet sich die Oscar-Preisträgerin erneut einer jüdischen Flüchtlingsfamilie. Doch diesmal aus der Perspektive eines kleinen Mädchens. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" läuft ab 25. Dezember in den deutschen Kinos und basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Judith Kerr (1923-2019) aus dem Jahr 1971. Der Roman thematisiert ihre Kindheitserinnerung an die Verfolgung und Flucht ihrer Familie während der NS-Zeit.
Die Geschichte gehört zu den Klassikern der Jugendliteratur. Große Fußstapfen für einen Familienfilm - die Link gekonnt zu füllen weiß. Und zwar mit großartigen Schauspielern, einer wunderschönen Kulisse und viel Fingerspitzengefühl für die hochemotionale Thematik. Aber nicht nur Kinder und Jugendliche kommen dabei auf ihre Kosten.
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Der immerwährende Abschied
Wir schreiben das Jahr 1933: Die neunjährige Anna Kemper (Riva Krymalowski, 8) lebt mit ihrem Bruder Max (Marinus Hohmann, 15), ihrer Mutter Dorothea (Carla Juri, 34) und ihrem Vater Arthur (Oliver Masucci, 51) in Berlin. Arthur ist Schriftsteller, Kritiker und ein Gegner der Nationalsozialisten - was ihm zum Verhängnis wird. Als er verhaftet werden soll, flieht er Hals über Kopf aus Deutschland. Anna und Max müssen ebenfalls ihre Koffer packen. Lediglich ein Spielzeug und ein Buch dürfen die beiden mitnehmen. Schweren Herzens lässt Anna ihr geliebtes rosa Kaninchen zurück.
Zunächst geht es für die Familie nach Zürich. Als die Nationalsozialisten kurz darauf die Wahl gewinnen, wird eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich. Es beginnt ihr Leben als Flüchtlinge. Zunächst zieht die Familie in ein kleines Schweizer Bergdorf, wo sie versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch Arthur bekommt keine Aufträge und so muss die Familie erneut aufbrechen. Es geht nach Paris und wieder führen die neuen Lebensverhältnisse zu Herausforderungen. Aber auch Frankreich soll nicht ihre letzte Station gewesen sein. Ein lukratives Angebot zieht die Familie nach England.
Ein Buch wird zum Film
Mit ihrem neuen Werk erzählt Caroline Link die wahre Geschichte einer Familie, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes wurde. Man wird auf eine Reise mitgenommen, die durch emotionale, amüsante, aber auch tragische Momente bewegt. Die Handlung wird dabei aus der Sicht der neunjährigen Anna erzählt, die mit einem kindlichen, aber erschreckend klarem Blickwinkel die Geschehnisse erfasst. Was vor allem die Buch-Fans freuen dürfte: Das Drehbuch, das aus der Feder von Link und Anna Brüggemann (38) stammt, komprimiert 240 Seiten gekonnt auf Kinolänge.
Trotz der düsteren Thematik wird die Leichtigkeit der Erzählung und die optimistische Färbung der Romanvorlage übernommen. Was sich vom Buch allerdings unterscheidet: In einigen Szenen werden die erwachsenen Protagonisten in den Fokus genommen und somit die kindliche Perspektive verlassen. Vor allem die Figuren Arthur und Dorothea werden aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. So wird beispielsweise die Verzweiflung der Eltern gezeigt, die sie sonst vor den Kindern verbergen. Sei es durch vielsagende Blicke, heimliche Tränen oder innige Umarmungen.
Ein kleines Mädchen wird zum Star
Dass der Film so gut funktioniert, ist unter anderem Hauptdarstellerin Riva Krymalowski zu verdanken, die großartig die Hauptfigur Anna verkörpert. Von der ersten Sekunde an fühlt man mit dem Mädchen, das seine geliebte Heimat zurücklassen muss und langsam begreift, dass sie nie wieder dorthin zurückkehren wird. Dennoch begegnet sie dem Schrecken mit einer Hoffnung, wie sie nur Kinder an den Tag legen können. Wenn man das Mienenspiel der jungen Darstellerin betrachtet, fällt es schwer zu glauben, dass es sich um ihren ersten Kinofilm handelt.
Für kleine Fragezeichen sorgt hingegen die Besetzung der Mutter Dorothea. Die Schweizer Schauspielerin Carla Juri wirkt etwas zu jung, um die Mutter zweier Kinder zu sein. Hingegen wurde die Rolle des Vaters mit Oliver Masucci hervorragend besetzt. Vor den Augen des Zuschauers zerbricht er im Innersten, gibt sich aber nach außen stark und hält das Bild des harten Kritikers aufrecht. Diese Zerrissenheit kann man ihm von den Augen ablesen. Aber auch das Zusammenspiel mit Krymalowski funktioniert hervorragend und es entsteht ein glaubhaftes Vater-Tochter-Gespann.
Schöne Bilder für eine düstere Thematik
Großartig sind die Aufnahmen in den Schweizer Bergdörfern, die vor einer atemberaubenden Alpenkulisse gedreht wurden. Die Schönheit der Landschaft steht im harten Kontrast zu den schrecklichen Dingen, die der Familie widerfahren: Sowohl in der Schweiz als auch in Paris werden sie Opfer von Diskriminierung und die Kinder oft in Außenseiterrollen gedrängt. Allerdings überwiegen die positiven Erlebnisse, was durch das Farbkonzept unterstrichen wird. Leuchtende Farben rahmen die glücklichen Momente ein, in denen neue Freundschaften geschlossen werden und die Familie zusammenwächst.
Was in Deutschland währenddessen passiert, wird allerdings nicht gezeigt. Lediglich über die Figur des Onkel Julius (Justus von Dohnányi, 59), der die Familie in der Schweiz besucht und später Briefe schreibt, erfährt man von den Zuständen in der Heimat. Dass Caroline Link den Film jetzt herausbringt, in Zeiten aufkeimender Rechtsbewegungen und eines neuen Antisemitismus, dürfte kein Zufall sein. Auch die Thematik Flucht und Vertreibung ist heute aktueller denn je.
Fazit
Caroline Link ist mit "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" eine großartige Romanadaption gelungen. Der Film führt behutsam an die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands heran. Man begibt sich mit Familie Kemper auf eine Reise, die man nicht so schnell wieder vergisst. "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" ist eine absolute Empfehlung für einen Kinobesuch - sowohl für Kinder als auch Erwachsene.
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