Alles aus den Fugen

Die britische Regisseurin und Autorin Sally Potter lädt zu "The Party" ein. Und auf diesem Fest ist wirklich was los ...
Kai-Oliver Derks |
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Bill (Timothy Spall, links) bringt mit einem Geständnis die Gesellschaft in Aufruhr. Tom (Cillian Murphy), Jinny (Emily Mortimer, zweite von rechts) und April (Patricia Clarkson) haben aber auch ihre eigenen Probleme.
2017 Nicola Dove / Weltkino / Adventure Pictures Ltd Bill (Timothy Spall, links) bringt mit einem Geständnis die Gesellschaft in Aufruhr. Tom (Cillian Murphy), Jinny (Emily Mortimer, zweite von rechts) und April (Patricia Clarkson) haben aber auch ihre eigenen Probleme.
Alle rechneten mit einem entspannten Abend mit Freunden. Mit einer lockeren Plauderei, dem Austausch ohnehin bekannter Ansichten, und am Ende lächeln alle und gehen zufrieden heim. So spielt es sich meistens ab. Aber eben diesmal nicht. Es läuft aus dem Ruder. Es gibt hemmungslose Offenheit, Streit, unerwartete Geständnisse - und der Abend wird zum Fiasko. Eine solche Geschichte erzählt Sally Potter
mit ihrem Kammerspiel "The Party", das bei der Berlinale mit viel Beifall aufgenommen wurde und nun in den Kinos startet. Ein knackiger, nur 71 Minuten langer Schwarz-Weiß-Film, der sich als süffisanter Blick auf die linksliberale Elite Großbritanniens versteht. Es sind nur sieben Figuren, um die sich hier alles dreht. Allesamt der gesellschaftlichen Oberklasse Englands angehörig, die meisten von ihnen politisch links und auf der Suche nach dem Sinn. Längst angekommen im bürgerlichen
, womöglich spießigen Leben, aber alle sind sie wohl irgendwann mit dem Ziel angetreten, etwas Wesentliches zu bewirken. Gastgeberin des Abends, der eigentlich eine "Party" werden sollte, ist Janet (Kristin Scott Thomas). Die Politikerin der nicht explizit benannten Oppositionspartei, ist soeben zur Schatten-Gesundheitsministerin ernannt worden, und das würde sie gerne ein bisschen feiern. Nur ihr Ehemann Bill (Timothy Spall) scheint darauf keine Lust zu haben. Mürrisch sitzt er im Wohnzimmer und legt alte Platten auf. Ein überraschendes Geständnis von ihm steht am Anfang eines höchst turbulenten Abends. Nur so viel: Um seine Gesundheit steht es nicht zum Besten, und so hat er sich seine Gedanken über das Leben gemacht. Zu Gast auch: die permanent zynische April ( Patricia Clarkson), die mit ihrem Ehemann, dem esoterischen Therapeuten Gottfried (Bruno Ganz) verbale Kämpfe ausfechtet. Und dazu das lesbische Pärchen Jinny (Emily Mortimer
) und Martha (Cherry Jones), die Drillinge erwarten. Was Jinny freut, die deutlich ältere Martha jedoch auf andere Weise beschäftigt: Was wird aus einer Beziehung, wenn plötzlich die Familie derart anwächst, will sie wissen. Als schließlich noch der offensichtlich völlig zugekokste Tom (Cillian Murphy) in der Tür steht, gerät das Fest vollends zur Farce. Er ist der Ehemann von Janets engster Mitarbeiterin Marianne (eine Frau, über die viel geredet, die aber nie gezeigt wird). Und Tom hat eine Pistole dabei ... Es sind die sensiblen Themen, die Sally Potter
hier anfasst. Es geht um Political Correctness, um die ewige Contenance. Um das verunglückte Comeback alter Sitten. Um Feminismus. "The Party" ist vor allem ein Film über Frauen, allesamt durchaus erfolgreich und ihre Männer, die damit womöglich nicht umzugehen wussten. Dann geht sie dahin, die Moral, was bei Sally Potter ebenso tragische wie komische Züge hat. Die britische Regisseurin
("Orlando", "Ginger & Rosa") zeigt ihre Figuren in extremen Situationen, beobachtet sie beim Verzweifeln, beim Scheitern. Und doch schwingt nie Missachtung mit, was sich auf das Publikum überträgt. Irgendwie mag man sie dann doch alle. So gut wie der gesamte Film, der äußerst kurz geraten ist, spielt sich in einem einzigen Haus ab. Die Handlung geschieht mehr oder minder in Echtzeit, sodass kleinere Längen bei den Dialogen in Kauf genommen werden müssen. Doch dann wimmelt es von klug gesetzten Pointen, überraschender Situationskomik - und obendrauf gibt's einen überraschenden Schluss. Es entsteht ein wildes Sammelsurium unzähliger menschlicher Gefühle. Warum das alles jedoch in Schwarz-Weiß gefilmt werden musste, mag sich nur schwer erschließen. Sally Potter spricht von einer "ästhetischen Entscheidung". Der brillante Kameramann Alexey Rodionov glaubt fest daran, dass Schwarz-Weiß helfe, weil "es die Farben eliminiert und es so einfacher macht, sich auf das Geschehen und die Schauspieler und deren Gesichter zu konzentrieren". Es mag eine Frage des Geschmacks sein, aber tatsächlich schafft das Schwarz-Weiße eher eine Distanz. Ein Grund, nicht ins Kino zu gehen, ist das aber nicht. Diese "Party" lohnt sich - hingehen!
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