Kindlich und tragisch
Alle Jubeljahre wieder werden Mozarts Jugend-Opern hervorgeholt. Man bewundert pflichtschuldig die frühe Genialität, klammert sich an Vorahnungen von „Figaro” oder der „Zauberflöte” und gähnt ein bisschen. Vor allem aber tut einem der Hintern weh, weil die Stücke so elendig lang dauern.
Wer außerhalb eines Mozart-Jahres die Opera seria „Mitridate, re di Ponto” des 14-Jährigen ungekürzt spielt, muss pfundweise gute Gründe in die Waagschale werfen. Die Staatsoper hat sie: Da wäre einmal das Bayerische Staatsorchester unter Ivor Bolton, das trotz historisch informierter Spielweise die Musik nicht harsch knallen lässt, sondern die federnde Brillanz hervorkehrt. Das passt zu dieser festlich-virtuosen Oper mit ihrer hellen Musik, in der keine tieferen Gesangsstimmen als Tenöre singen. Der empfindsam blasende Naturhorn-Solist Zoltán Mácsai war allerdings ein Gast vom Mozarteumorchester aus Salzburg.
Auch die Sänger sind nahezu perfekt: Patricia Petibon (Aspasia) ist trotz ihrer lyrisch-hellen Stimme im zweiten und dritten Akt zu tragischem Ausdruck fähig. Die paar überspannten Extrem-Töne in tiefer Lage sind als Ausdrucksmittel gut eingebunden. Lawrence Zazzo (Farnace) singt mit einer bei Countertenören in München bislang nicht gehörten, das Orchester mühelos überstrahlenden Kraft. So gelingt ihm ein sehr stimmiges Porträt eines Halbstarken mit Anwandlungen von Sentimentalität.
Sein braves Brüderchen Sifare ist in passendem Gegensatz als Hosenrolle besetzt. Die sanfte Anna Bonitatibus hat dafür das richtige Timbre ebenso wie die Technik für die mörderischen Koloraturen. Die werden in dieser Oper in stratosphärischen Höhen auch vom Titelhelden verlangt. Barry Banks erklimmt sie fast mühelos, aber seine leichte Angestrengtheit passt bestens zu diesem angeschlagenen Tyrannen und Vater.
Gesang und Charakter passen in dieser Aufführung überall zusammen. Wer hätte gedacht, dass eine Jugendoper von Mozart so anrührend sein könnte? Der Regisseur David Bösch erzeugt mit seinen Ausstattern Patrick Bannwart und Falko Herold eine Stimmung leichtfüßiger Tragik, indem er die Geschichte mit der nötigen Drastik in einen schwarzen Trichter ausagieren lässt und zugleich durch Kinderzeichnungen bricht. Damit wird der widersprüchliche Tonfall des Stücks, das den finsteren Machtkampf eines Vaters mit seinen Söhnen als Koloraturfeuerwerk abbrennt, sehr überzeugend in die Sprache des Theaters übersetzt.
Die Bilderflut führt überraschenderweise nicht in die Verdopplungs-Falle, sondern zur enormer Klarheit: Niemand braucht im Prinzregententheater die Übertitel mitzulesen, weil der emotionale Frontverlauf jederzeit auf der Bühne abzulesen ist. Wiederkehrende Symbole wie eine Möwe sorgen für Ordnung. Selbst ein angeschlagener Kristal-Lüster sieht bei Bösch aus, als hätte man die Idee an der Staatsoper nicht schon öfter gesehen. Wenn ihn der von einer Niederlage derangierte Mitridate am Ende des ersten Akts neue Kraft fühlend schwingt, entsteht ein starkes Bild zu seiner Bravourarie.
Auch die Nebenfiguren sind scharf gezeichnet: Aus Arbate (Eri Nakamura) wurde eine asiatische Putzfrau im Königshaushalt, Ismene (Lisette Oropesa) scheint vom König oder dem Prinzen geschwängert worden zu sein und erleidet offenbar im Sturm der Gefühle eine Fehlgeburt. Selten war bei einer modernen Aufführung einer Opera seria das Familiendrama so sehr mit der Haupt- und Staatsaktion im Gleichgewicht. Das ist bei dieser fast nur aus Monologen bestehenden und bisweilen auch schwach motivierten Oper ein echtes Kunststück.
Kein Buh trübte nach vier Stunden den Jubel, obwohl es die Aufführung trotz ihrer kindertheaterhaften Leichtigkeit niemandem wirklich leicht macht.
Wieder am 26. (ausverkauft) und 29. Juli (Restkarten) im Prinze, Infos unter Tel. 2185 1920