Kinder und andere Biester
Hannelore Elsner dreht am Ammersee den BR-Film „Alles Liebe“. Sie spielt die biedere Irma, die sich mit dem eigenen Nachwuchs zofft. Die AZ hat die Schauspielerin am Set besucht
Sie wird gnadenlos attackiert. Da hilft es auch nicht, dass Hannelore Elsner eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen ist. Die Mücken haben an diesem schwül-heißen Tag am Ammersee viel Durst, da kommt ihnen die 67-Jährige gerade recht – Drehbuch hin oder her. Elsner nimmt’s erstaunlich gelassen, hofft einfach auf die Wirkung der zitronigen Tinktur aus der örtlichen Apotheke.
Von ganz anderen Biestern wird Elsner im BR-Film „Alles Liebe“, für den sie am Ammersee gerade vor der Kamera steht, geplagt – vom eigenen Nachwuchs. Sie spielt die biedere Irma, für die die Kinder ein Fest zum 65. Geburtstag organisieren. Die Geschwister (Karoline Eichhorn, Julia Brendler und Axel Schreiber) fahren mit der Mutter, die überhaupt keine Lust auf die Feier hat, in das alte Ferienhaus am See. Denn hier, so glauben sie, habe man schließlich glückliche Tage verbracht. Damals, als der Vater noch lebte. Doch allein dieser Gedanke zeigt, wie wenig die Familie von einander weiß. „Aber sie kennen den Punkt ganz genau, wo man den anderen am besten treffen kann“, sagt Karoline Eichhorn. Chaotische Tage voller verdrängter Gefühle und gegenseitiger Schuldzuweisungen sind das Ergebnis.
„Jeder hat sein Messer unterm Mantel und sticht damit auch auf den anderen ein“, sagt Elsner. Wenn Irma ihres nicht gerade zur Zubereitung der geliebten Kohlrouladen braucht. „Sie ist eigentlich im Aufbruch, aber noch gefangen in ihrer alten Rolle, gegen die die Kinder allergisch sind“, erzählt sie. „Irma kocht halt nun mal gerne Kohlrouladen. Aber meine Güte, das bringt doch keinen um, oder?“
„Die Unaufmerksamkeit ist es, die uns das Leben schwer macht“
Ist „Alles Liebe“ also die Geschichte einer ganz normalen Familie? „Ja, es ist ein Film über Hassen und Lieben. Und beides gehört in einer Familie zusammen“, sagt Regisseur Kai Wessel, dessen „Hilde“ gerade in den Kinos lief. „Ich glaube, dass man in der Familie viel brutaler miteinander umgeht als unter Freunden.“
„Aber trotz allem lieben sie sich sehr“, sagt Elsner, „das macht es ja so dramatisch.“ Die Schauspielerin sitzt in ihrem geblümten Irma-Kleid, das sie selbst nie tragen würde, vor dem verfallenem Häuschen am See. „Die Irma mochte ich anfangs gar nicht“, erzählt sie. „Irgendwie tut sie mir auch was an. Sie macht mich traurig, ein bisschen melancholisch. Denn ich finde es schrecklich, dass es solche Familien gibt.“
Aber es gibt sie eben, das weiß auch Elsner. „Wir alle kennen solche Konflikte“, sagt sie. „Wären wir aber aufmerksamer, würden solche Gemeinheiten gar nicht erst passieren. Unsere latente Unaufmerksamkeit ist es, die uns das Leben so schwer macht.“ Der Zuschauer wird vieles aus dem eigenen Leben entdecken, glaubt sie. „Und so manches Mal wird ihm das Lachen im Halse stecken bleiben.“
Elsner, die einen erwachsenen Sohn hat, liebt Familienfeste. „Aber wahrscheinlich kommt das daher, dass ich nur eine sehr kleine habe. Und die ist wunderbar.“ Noch mehr aber liebe sie Geburtstage mit „Luftballons, Sonne und grünen Wiesen“.
Genau wie das Ensemble, das während des Drehs gemeinsam familiär in einer Pension am Ammersee wohnt, kommt sich auch die TV-Familie im Laufe des Films immer näher. Dann nämlich wenn Irma beginnt, die Wahrheit zu sagen: „Hier am See war ich nie gerne. Hier war es immer scheiße.“ Und so viel sei verraten: An den Mücken lag’s nicht.
Angelika Kahl