Kinder im Minenfeld
Kammerspiele: Der aus Tirol stammende Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur Händl Klaus über Quitten und sein Singspiel „Furcht und Zittern“
Den ersten Anruf überhörte der Autor, weil er eine Ladung Quitten mit dem Fahrrad transportierte. Heute hat sein Singspiel „Furcht und Zittern“ in den Kammerspielen Premiere, das in Sebastian Nüblings Inszenierung bereits bei der Ruhrtriennale gezeigt wurde.
AZ: Herr Händl, was passiert mit Ihren Quitten?
HÄNDL KLAUS: Sie werden vergeistigt. Bei uns im Ort ist eine Brennerei, die auch für ihren Whisky berühmt ist. Da tragen die Leute ihr Obst hin. Meine Quitten ergeben drei Liter Schnaps, den ich verschenken werde, weil ich selber kaum Alkohol trinke.
Wieviele Bäume haben Sie?
Nur einen, aber der gedeiht prächtig. Er blüht sehr schön. Die reifen Quitten duften so betörend, dass die Leute auf der Straße stehen bleiben.
Roh ist dieses seltene Obst ungenießbar.
Wir haben Kuchen und Gelee daraus gemacht. Noch ein Tipp: Man schält die Quitte, schneidet sie in Schnitze und kocht sie mit Rotwein, Honig oder Zucker und Zimt. Als Beilage zu Steinpilzknödeln oder Wild ist das mit einem Schuss Aceto Balsamico eine feine süßsaure Angelegenheit.
Bei der Uraufführung von „Furcht und Zittern“ in Essen entstand der Eindruck, Sie wollten Sympathien für einen Pädophilen wecken.
So einfach ist es nicht! Wir zeigen einen sympathischen Menschen, der schreckliche Dinge getan haben könnte – und das ist ja gerade das Schlimme daran. Um Manfred Horni als Figur ernst nehmen zu können, musste ich ihm Sätze der Verteidigung in den Mund legen. Er leidet an der Wiederbegegnung mit den Kindern. Aber das Thema bleibt ein vermintes Terrain.
Behandelt Ihr Stück einen echten Fall?
Es ist eine erfundene Geschichte. Ich wollte mit dem Stück an diese Grenze zwischen Gut und Böse geraten, die oft fließend verläuft. Aber ich ergreife niemals Partei für meine Figuren.
Ist es nicht heikel, dass Kinder mitwirken?
Wir haben mit ihnen viel über das Thema gesprochen, um sie nicht unsererseits zu missbrauchen, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen. Man sollte das Thema Missbrauch Kindern gegenüber nicht verschweigen – sie sollen lernen, sich zu wehren. Sie sind dann besonders gefährdet, wenn sie aus angeknacksten Verhältnissen kommen und wenig Selbstwertgefühl entwickeln. In unserem Stück fällen sie aber ihr Urteil über Horni und gehen als Sieger ab.
Der Begriff Singspiel hat den Beigeschmack des Harmlosen.
Dass unser Stück nett daherkommt und zugleich schrecklich ist, hat viel zu tun mit der sauber eingerichteten Welt, in der wir leben. Ich habe mich lang mit der Geschichte der Gattung beschäftigt: Zu ihr gehört immer auch das Lauernde und Unheimliche.
An welches alte Stück denken Sie?
Das sind so große Werke, da kommt man selbst nicht hin, aber man nimmt davon. Mozarts „Zauberflöte“ zum Beispiel ist ein Werk von verstörender Schönheit. Darin kommt es unter anderem zu Prüfungen. Die Prüfung – das ist ein Element, das ich benutzt habe.
Wann fangen die Figuren zu singen an?
Immer dann, wenn es ihnen zuviel wird, und die Sprache nicht ausreicht. Die Musik von Lars Wittershagen ist ein anderer Aggregatzustand, in dem sich das Innerste, vielleicht auch das Unterste Bahn bricht.
Robert Braunmüller
Schauspielhaus, Karten: Tel. 233966 00