Killer, Kapitalisten und Kasperle
Gärtnerplatz: Gelungene Münchner Erstaufführung von Verdis »Masnadieri«. Mit viel Esprit und Italianitá wurde das Publikum überzeugt. Da fragt man sich, warum die Räuber-Oper bis dato in der Versenkung verschwunden ist?
Richtige Räuber tummeln sich bekanntlich im Wald. Am Gärtnerplatz hat sie Regisseur Thomas Wünsch in ein havariertes Skelett aus Stahlträgern verfrachtet. Damit landen "I Masnadieri" in einer dubiosen Zukunft, die nach 11. September riecht. Und Schillers "Räuber", auf denen dieser frühe Verdi basiert, sind zu einer Mischung aus Terroreinheit in Leder und dosenwerfender Strassengang mutiert. Nicht irgendwo, sondern im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Am Boden liegt die Tafel der US-Freiheitsstatue mit dem Datum der Unabhängigkeitserklärung - die Welt ist aus den Fugen gesprengt. Aber das Büro der Grafen von Moor funktioniert noch. Und man wiegt sich in post-post-post-modernem Retro-Chic mit Gehrock-Reminiszenzen ans 19. Jahrhundert (Bühne und Kostüme: Heiko Mönnich).
Verdis Revoluzzer-Herz sollte also "brandaktuell" pochen in einer auch fragwürdigen Polit-Einbettung. Doch die geriet in ihrer mitunter peinlichen Deutlichkeit bald doch zu einem packenden Familiendrama. Denn bei allem Pistolengefuchtel, liess Wünsch in die Abgründe seiner Protagonisten blicken. Da standen zwar Killer und Kapitalisten auf der Bühne, doch letztlich waren es rivalisierende Söhne, ein verzweifelter Vater, echte und falsche Freunde - also: Individuen. Und wenn der völlig verwirrte Conte Massimiliano des fabelhaften Guido Jentjens am Ende mit Kasperle-Puppen in die heile Welt der Demenz flüchtet, dann ist das nicht nur eine schlüssige Deutung, sondern der berührendste Moment dieser Inszenierung.
Rauberpistole mit Italianitá versilbert
Überhaupt fragt man sich nach dieser Münchner Erstaufführung der "Masnadieri", weshalb die Räuber-Oper in die Versenkung geraten ist. Henrik Nanasi setzte im Graben jedenfalls alles daran, uns das verschmähte Stück schmackhaft zu machen - von der Cello-Kantilene bis zum dunkel-imposanten Schluss. Und die Gärtnerplatz-Musiker präsentierten sich in Bestlaune, versilberten die angeblich so unattraktive Räuberpistole mit Esprit und Italianita.
Es sind eben nicht nur die allseits bekannten Dauerhits, die zünden können. Auch wenn man bei Verdi schnell in Lauerstellung auf den ultimativen Schlager gerät. Dafür liefert die Partitur viel schönes Material, das auch dem Bühnenpersonal Lust machte.
Mischung aus Pirat und Bata illic
Als Räuber-Boss Carlo gab Zurab Zurabishvili im Verschnitt aus Freibeuter und Bata Illic stimmgewaltig den Ton an. Pianokultur war seine Sache nicht, dafür reichte die Tenor-Power bis zum bitteren Ende. Mikael Babajanyan war ihm ein fieses Bruder-Pendant mit mächtig bösem Bariton - wer wollte sich so einem in den Weg stellen? Ausser der imposanten Geistlichkeit: Holger Ohlmanns Moser liess bereits das St. Juste im "Don Carlo" anklingen. Und auch manche Chor-Szene wies weit in die Zukunft. Nur Elaine Ortiz Arandes hatte mit der vertrackten Partie der Amalia zu kämpfen, schlug sich mit flackerndem Sopran durch die undankbare Rolle, die Verdi einst Jenny Lind, der "schwedischen Nachtigall", auf den Primadonnen-Leib zimmern musste. Ein kleiner Wermutstropfen in einer gelungenen Produktion, die bei allem Terror-Schnick-Schnack mehr überzeugt als der Staatsopern- "Nabucco".
Christa Sigg
Gärtnerplatztheater, 18., 23. und 27. März, Karten Tel. 21 85 19 60