Kritik

Khatia Buniatishvili in der Isarphilharmonie

Die Pianistin spielt Werke von Beethoven und Franz Liszt
Michael Bastian Weiß |
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Die Pianistin Khatia Buniatishvili.
Esther Haase Die Pianistin Khatia Buniatishvili.

Eine kleine vorweihnachtliche Szene bekommt das Publikum zusätzlich zum exquisiten Klavierspiel von Khatia Buniatishvili beschert. Nach einer der beiden Beethoven-Sonaten steht die Pianistin vom Flügel auf und geht Richtung Bühnenöffnung. Die Tür öffnet sich - und ein goldiges Baby wird sichtbar, kein halbes Jahr alt, auf dem Arm gehalten von einer jungen Frau. Der holde Säugling grüßt freundlich seine Mutter, die nun beruhigt mit dem Programm weitermachen kann.

Flüsterpianissimo

Musikalische Interpretationen haben nur sehr indirekt mit dem Leben der interpretierenden Person zu tun. Nur ganz ausnahmsweise also sei hier eine Vermutung gewagt: Spielt Khatia Buniatishvili nach dem Quasi-Besuch des Christkinds auch deshalb so leise? Wie, um ihr kleines Töchterchen beim Einschlafen nicht zu stören? Krassere dynamische Werte hat man in der Isarphilharmonie auf jeden Fall bislang noch nicht vernommen wie das "ppppp", sprich: ein vier- bis fünffaches Pianissimo, auf das sich das ohnehin schon sehr still begonnene "Ständchen" von Franz Schubert zurückzieht. Auch das "Gretchen am Spinnrade" erhebt seine Stimme lange höchstens bis zu einem unterdrückten Piano, und das einleitende Präludium mit Fuge a-moll BWV 543 von Johann Sebastian Bach beginnt wie eine bloße Erinnerung aus fernen Zeiten.

Beethovens Hysterica

Es gibt aber auch rein musikalische Gründe für dieses aufregende Experimentieren kurz über der Hörgrenze, das übrigens technisch außerordentlich schwierig ohne nicht anschlagende Tasten und somit wegbleibende Töne zu realisieren ist. Wenn Khatia Buniatishvili nämlich in diesen Bach-und Schubert-Bearbeitungen von Franz Liszt dann abrupt in ein hämmerndes Fortissimo ausbricht, ist der Schock umso erschütternder. In der Klaviersonate Nr. 23 von Ludwig van Beethoven sind die Klüfte zwischen dem schattenhaften Auf- und Ab-Irren der Themen und dem vollends austickenden Finale so tief, dass aus der "Appassionata" fast eine "Hysterica" wird.

Aber eben nur fast. Denn hier und in Beethovens Sonate Nr. 17 "Der Sturm" sind auch die Extreme eingebunden in die sinnliche, klangverliebte Tongebung: Das Laute ist nie roh, das Leiseste verschwindet nicht, weil beide auf einem unerschütterlichen pianistischen Fundament aufruhen. Nach soviel Stille bringt Khatia Buniatishvili zum Kehraus das Publikum mit der irrwitzig virtuos genommenen Ungarischen Rhapsodie Nr. 6 und dem Finale der Nr. 2 zum Rasen. Das Töchterchen, so schließen wir daraus, wird zu diesem Zeitpunkt bereits selig eingeschlafen sein und lässt sich auch von Liszts Tastendonner nicht aus seinem Schlummer wecken.

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