Kennzeichen: Nervosität
Deckname „Carlos“: internationaler Terrorist, Befreiungskämpfer, Frauenverführer, Mörder. Im drei- oder fünfstündigen Film spielt Edgar Ramirez den brutal-weichen, unheimlichen Mann
Bis vor kurzem kannten ihn höchstens Cineasten. Doch mit seinem Porträt des Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, genannt „Carlos“, in dem gleichnamigen Biopic von Olivier Assayas wurde Edgar Ramirez schlagartig bekannt. Ramirez, der sowohl Spanisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch spricht, wurde wie Carlos in Caracas, Venezuela, geboren.
AZ: Herr Ramirez, war Ihnen Carlos vor dem Film ein Begriff?
EDGAR RAMIREZ: Für mich war Carlos – wie für viele – nur dieser verrückte Terrorist, der zusammen mit den Palästinensern gekämpft hat. Meine Filmvorbereitung glich dann aber einer Doktorarbeit. Ich habe gelesen, um die politischen Zusammenhänge zu verstehen, und natürlich so viel wie möglich an Material über Carlos zusammengetragen. Und dann habe ich mit Menschen gesprochen, die ihm nahe standen. Einschließlich seiner Familie. All diese Nachforschungen flossen in den Charakter ein.
Sie haben einmal behauptet, dass in „Carlos“ nicht Politik im Mittelpunkt steht.
Man spricht über Politik im Film, aber es ist kein politischer Film. Politik ist ein Teil der Geschichte des Filmes, aber nicht das Thema.
„Carlos“ wird im Film als selbstverliebter Waffenfetischist gezeigt.
Für mich verkörpert Carlos die Träume des Wandels und der Revolution mit einer Besessenheit für Macht und öffentlicher Anerkennung. Auf der einen Seite will er die Welt verändern. Auf der anderen ist er besessen davon, sich einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Diese Ambivalenz zwischen Idealismus und Individualismus sieht man in „Carlos“ die ganze Zeit. In den falschen Regie-Händen hätte Carlos aber auch eine peinliche Bösen-Karikatur werden können.
Wird für Carlos der Geldfaktor im Laufe seines Terroristenlebens immer wichtiger?
Ich glaube, dass Carlos an dem Punkt kommt, wo er seine eigene Ideologie wird – eine ganz persönliche, die nur für ihn Sinn gehabt hat.
Trotz seiner Brutalität wurden viele Frauen bei Carlos schwach.
Das liegt an seinem Charisma. Er war brutal, konnte aber auch sehr zärtlich sein. Diese Widersprüche zu erforschen und zu zeigen, waren für mich das Wichtigste. Das ständige Wechselspiel zwischen Licht und Schatten macht die Rolle so interessant. Der stereotype Revolutionär dieser Zeit erschien einem immer ernst, streng, unerbittlich. Carlos war das Gegenteil: Verrückt, kontaktfreudig, impulsiv und manchmal auch oberflächlich und extravagant.
Orientierte sich Carlos in seinem Aussehen an Che?
Ja, aber die beiden waren völlig verschieden. Carlos war nicht der Typ, der sich wie Che idealistisch vielen Freude des Lebens verweigert hat. Er hatte keine Hemmung, seinen hedonistischen Lebensstil so richtig zu genießen.
120 Schauspieler, Dreharbeiten in zehn Ländern – wie haben Sie die Strapazen erlebt?
Unterwegssein, ständiges Reisen – so verlief bisher mein Leben! Mein Vater war Militär-Attaché, wir waren in Mexiko, in Peru, in den USA oder in Kanada stationiert. Und als Austauschschüler ging ich sogar einige Zeit nach Graz. Einer der Hauptgründe, warum ich Schauspieler geworden bin, ist, interessante Leute aus der ganzen Welt und fremde Kulturen kennen zu lernen. Für mich war „Carlos“ daher ein Traum.
In nahezu jeder Szene zünden Sie sich eine Zigarette an.
Das Lustige ist, ich bin Nichtraucher. Aber Carlos hat viel geraucht, nicht nur er, fast alle. Nervosität war ein Zeichen der Zeit.
Sie gelten als Fan von Tom Tykwer, könnten Sie sich auch vorstellen, in Deutschland zu arbeiten?
Klar. Ich habe Respekt vor dem deutschen Kino. Es gibt Pläne, hier zu drehen, aber die sind noch nicht konkret. Mein Arbeitsplatz als Schauspieler ist die Welt, immer dort, wo ich Teil von interessanten Geschichten werden kann.
Florian Koch
„Carlos – Der Schakal“, 3-stündige Version: Arri, City Atlantis (OmU), Cinema (OmU), die 5-stündige Version: Arri (OmU), Sonntag, 11.30 Uhr, Mittwoch, 10.11., um 18.30 Uhr
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