Keith Richards: Das echte Gesicht des Rock

Schnoddrig und enspannt macht sich der Stones-Gitarrero lustig über Mick Jagger und Eric Clapton, über die ohnmächtigen Mädchen vor der Bühne und den Sex-Wettstreit in der Band.
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Schnoddrig und enspannt macht sich der Stones-Gitarrero lustig über Mick Jagger und Eric Clapton, über die ohnmächtigen Mädchen vor der Bühne und den Sex-Wettstreit in der Band.

Ich hatte eine gute Truppe unter mir, ich konnte auf meine Jungs zählen. Auf uns war Verlass - mehr oder weniger.“ Es sind nicht die Rolling Stones, die Keith Richards hier beschreibt. Es sind die Pfadfinder, bei denen der spätere „Patrol Leader der Seventh Dartford Scouts“ lernte, wie man ein Zelt aufbaute und rohe Kartoffeln aß. Glücksstunden für das 1943 geborene Einzelkind aus der Arbeiterklasse. Seinen jungen Jahren im Nachkriegstrümmerengland widmet Richards in seinen Memoiren „Life“ nur 60 von 730 Seiten.

Zwei Ereignisse aus dieser Zeit aber sollten die Weichen stellen: Opa Gus brachte Keith die ersten Kniffe auf der Gitarre bei, und 1956 hörte er zum ersten Mal Elvis Presley: „Mein kleines Radio war eingeschaltet, ich hörte Radio Luxemburg, und plötzlich lief ,Heartbreak Hotel’. Das war der Hammer, das war der Urknall.“

Keith entdeckt seine Leidenschaft für Blues und Rock’n’Roll. Und als er fünf Jahre später mit einer Chuck Berry-Platte unterm Arm am Bahnhof von Dartford steht, quatscht ihn ein ehemaliger Klassenkamerad an, der alle Berry-Platten zuhause hat: Mick Jagger und Keith Richards werden musikalische Seelenverwandte.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten stellen sie mit Brian Jones eine Band auf die Beine. Bill Wyman kommt hinzu (eigentlich wollten sie nur seinen Verstärker) und Charlie Watts signalisiert Bereitschaft, wenn die Band genug Auftritte bekommt, um ihn zu bezahlen. Die Geschwindigkeit mit der aus den Nobodys Stars und fast Staatsfeinde werden, überrascht beim Lesen von Richards Memoiren noch immer. Die (Musik)Welt änderte sich monatlich, alles ist in Bewegung und schon bald sprechen sich Lennon und Jagger ab, in welchem Rhythmus die Beatles- und Stones-Singles erscheinen sollten, um sich nicht gegenseitig zu behindern.

Noch vor der ersten Show in Amerika wurden die Stones 1964 von Dean Martin in der TV-Show „Hollywood Palace“ dem Publikum vorgestellt, als „die langhaarigen Wunderknaben aus England. Die haben sich hinter der Bühne gerade noch gegenseitig die Flöhe aus aus den Klamotten gezupft.“ Dino, so folgert Richards, „hatte noch nicht mitgekriegt, das die Wachablösung schon im Gange war.“

Man konnte alle Regeln brechen und erfolgreich sein, das hatten die Stones vielleicht schneller als viele andere kapiert. Warum aber noch ein Buch über die vielleicht bestdokumentierte Band der Welt? Nun, es ist alles gesagt, aber halt nicht von allen: Keith Richards, die „gusseinserne Bratpfanne aus einem Stück“ (Tom Waits), ist seit Jahrzehnten das authentische Gesicht des Rock – mit allen Nebenwirkungen. Zusammen mit seinem Co-Autor James Fox gibt er sich schnoddrig und entspannt. Aber niemand sollte sich durch 730 Seiten „Life“ pflügen auf der Suche nach Literatur.

Glücklicherweise blitzt häufig Richards’ britischer Humor durch: „Dann stieg Eric Clapton bei den Yardbirds aus und zog sich für sechs Monate zurück, und als er zurückkehrte, war er Gott. Bis heute versucht er, sich davon zu erholen.“ Nett auch, wie er die Wirkung der frühen Stones auf die schreienden Mädchen beschreibt: „Die ohnmächtigen Körper, die nach ein, zwei Songs an uns vorbeigetragen wurden, die sahen wir jeden Abend. Wenn es zu viele waren, wurden sie an seitlich an der Bühne gestapelt, wie an der Westfront.“

Doch wer - neben der Polizei - Keith wirklich in Rage bringen kann, ist natürlich sein Glimmer-Twin Mick. Die Freundschaft wird mehrfach auf eine schwere Probe gestellt. So als Jagger Richards Freundin Anita Pallenberg bei den Dreharbeiten zu „Performance“ verführt. „Aber weißt du was, Mick“, schreibt Richards. „Währenddessen habe ich Marianne Faithfull gevögelt.“ Die Faithful war damals Micks Gefährtin.

Der Seitensprung setzt Richards dennoch zu: „I feel a storm is threatening my very life today“, textet er , die Urversion des wohl besten Stones-Songs „Gimme Shelter“, den Fans schließlich mit dem Vietnam-Krieg assoziierten.

Der Band-Krieg bricht erst nach den besten künstlerischen Jahren aus, die Richards aus der bisweilen trostlosen Binnensicht eines Mannes schildert, der ein komplettes Jahrzehnt dem Heroin verfallen war. Jagger landet im Jet-Set, Richards fast in der Gosse.

1984 will Jagger die Solo-Karriere, geblendet von dem immer größeren wirtschaftlichen Erfolg der Stones-Tourneen, den er für sich verbucht. Selbst der stoische Drummer Charlie Watts rastet aus, verpasst Jagger einen Haken in einem Amsterdamer Hotelzimmer und zischt ihm hinterher: „Nenn mich nie wieder deinen Schlagzeuger.“

Jagger hat nach drei gefloppten Solo-Alben die Lektion gelernt und plant eine Stones- Abschiedstour für 2011. Fünf Jahrzehnte nach dem Zusammentreffen am Bahnhof von Dartford wäre es ein rundes Ende. Richards signalisiert Bereitschaft. Sein Image ist längst das coolere (auch ohne „Fluch der Karibik“) den Kampf gegen Jagger hat er gewonnen.

Volker Isfort

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