Kein Platz mehr für Träumereien

Das Paradies ist verloren. Selbst Giuseppe Tornatore, Europas großer Kinoträumer, muss das einsehen. Mit „Die Unbekannte“ verabschiedet sich der italienische Regisseur vom „Cinema Paradiso“, lässt den „Zauber von Malena“ verblassen und entdeckt die Realität.
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Das Paradies ist verloren. Selbst Giuseppe Tornatore, Europas großer Kinoträumer, muss das einsehen. Mit „Die Unbekannte“ verabschiedet sich der italienische Regisseur vom „Cinema Paradiso“, lässt den „Zauber von Malena“ verblassen und entdeckt die Realität.

Tornatore ist im heutigen Europa angekommen, da haben Träumereien keinen Platz mehr. Zu hart ist die Realität. Die Unbekannte heißt Irena (Kseniya Rappoport), kommt als Fremde in eine Stadt, versteckt einen Koffer voll Geld. Sie geht im Mietshaus gegenüber putzen und hat einemysteriöse Verbindung zur Familie Adacher. Dort wird Irena als Hausmädchen angestellt, nachdem sie ihre Vorgängerin aus dem Weg geräumt hat. Irena gewinnt das Vertrauen der Familie, vor allem der kleinen Tochter Tea (Clara Dossena). Es ist schnell klar, dass dem Mädchen das ganze Interesse Irenas gilt.

Tornatore inszenierte einen Thriller mit Versatzstücken des Film noir – voller Spannung, mit unterschwellig mitschwingendemWissen um etwas Schreckliches. Der Film liefert keine Erklärungen für all die Merkwürdigkeiten in Irenas Alltag. Er begleitet sie bei einer Mission, deren Ziel unklar bleibt.

Ein Film der Blicke

„Die Unbekannte“ ist ein Film der Blicke. In denen finden sich Schmerz und Liebe, das Verlangen nach etwas Glück imLeben und Verzweiflung. All dies spiegelt sich in Kseniya Rappoports Gesicht, und bleibt doch ein stummer Schrei. Bis Muffa (Michele Placido) auftaucht, ein böser Schatten aus der Vergangenheit, und sich der Thriller zum Drama wandelt.

Während Irenas Gegenwart in kaltem Graublau erscheint, sind die Rückblicke in warmes Licht getaucht. So, als wäre die Vergangenheit eine schöne Erinnerung. Aber es sind goldfarbene Albträume, Irena hat das Glück lediglich für Momente erahnen dürfen. Das sonnige Licht nutzt Tornatore als perfiden Kontrast, denn was sich dort abspielt, ist nur grausam. Frauen, Prostitution, verkaufte Körper – das Ausmaß des Schreckens wird erst am Ende sichtbar.

Tornatore mag über das Ziel hinausschießen, sowohl inhaltlich als auch formal. Sein Film wirkt manieriert bis plakativ. Und formal gelingt der Wechsel zwischen Thriller und Drama oft nur konfus. Aber der Film bewegt, evoziert Emotionen. In dieser Hinsicht ist sich Tornatore treu geblieben, der gewiefte Puppenspieler der Gefühle. Dafür gab’s unter anderem den Publikumspreis beim Europäischen Filmpreis für „Die Unbekannte“, deren Geheimnis eine hässliche Seite des modernen Europas verbirgt.

Andreas Fischer

Kino: ABC, Atelier R & B: Giuseppe Tornatore K: Fabio Zamarion (I, 122 Min.)

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