Kapitalist und Fantast

Heute hat Ibsens „John Gabriel Borkman” in der Inszenierung vom Armin Petras in den Kammerspielen Premiere. Andre Jung spielt die Titelrolle des gescheiterten Bankdirektors
Gabriella Lorenz |
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Heute hat Ibsens „John Gabriel Borkman” in der Inszenierung vom Armin Petras in den Kammerspielen Premiere. Andre Jung spielt
die Titelrolle des gescheiterten Bankdirektors

Spätkapitalist oder früher Global Player? Ein Mann, der mit seinen Ideen der Ressourcen-Ausbeutung zu früh kam oder mit seiner Hoffnung auf Rehabilitation und Nachruhm zu spät? 1906 schrieb der Norweger Henrik Ibsen „John Gabriel Borkman”, das Porträt eines mächtigen Bankdirektors, der kurz vor seinem größten Spekulanten-Coup wegen Veruntreuung ins Gefängnis muss und danach weiter in einem familiären Gefängnis lebt. An den Kammerspielen inszeniert nun Armin Petras das Drama mit André Jung (AZ-Stern des Jahres 2010) in der Titelrolle. Heute ist Premiere.

AZ: Herr Jung, die Textfassung von Regisseur Armin Petras ist schlank und heutig.

ANDRÉ JUNG: Der Text ist modern, will aber kein neues Stück daraus machen. Die Ausstattung lehnt sich eher an die Entstehungszeit des Dramas an. Das Ganze spielt quasi in einem Bergwerk.

Borkman ist als Sohn eines Bergwerksarbeiters zum Groß-Banker aufgestiegen. Nach seiner Haft lebt jahrelang völlig isoliert. Seine Frau meidet jeden Kontakt und hält auch den erwachsenen Sohn fern.

Seine Spekulationsgeschichte wird ja im Stück nie wirklich erklärt. Aber seitdem lebt er im Exil – wohl selbstverschuldet. Er ist ein Fantast geworden, ein einsamer Mensch, der sich unverstanden fühlt und immer noch vom Opus magnum träumt. Für mich ist das auch das Drama eines unverstandenen Künstlers.

Ist Borkman der Prototyp eines kapitalistischen Unternehmers?

Das ist zweischneidig. Wenn ich heute höre, dass unter Kuba riesige Ölvorkommen liegen, an die auch die USA ran wollen, dann habe ich persönlich die Hoffnung, Kuba könne damit aus seiner Wirtschaftskrise rauskommen. Borkmans Gegenbeispiel ist der im Stück nicht auftretende Karrierist Hinkel, der ihn verraten und ruiniert hat: einer, der nur aufkauft und kaputt macht.

Für die Opfer der von ihm verursachten Wirtschaftskrise hat Borkman kein Mitleid. Ebensowenig für seine Frau und deren Schwester Ella, deren Leben er verpfuscht hat.

Er kennt keine Reue. Das ist ein sehr unsentimentales Stück: Es geht um Erz und Eis. Borkman ist rücksichtslos gegen alle, aber da ist er nicht der einzige. Es gibt in diesem Stück keine positive Figur.

Auch nicht die Gutmenschin Ella, seine frühere Liebe, die seine Familie aushält?

Man muss fragen, warum kommt Ella jetzt, 13 Jahre später, zur Aussprache? Sie will sich Sohn Erhart aneignen. Wir spielen die Beziehung zwischen Ella und Borkman nicht als späte Liebesgeschichte.

Den Studenten Erhart wollen alle für sich und ihre Pläne vereinnahmen, doch der will ein eigenes Leben. Seine ältere Geliebte Fanny Wilton ist bei Ibsen Anfang 30, hier spielt sie die 70-jährige Hildegard Schmahl. Warum?

Warum nicht? Umgekehrt ist das doch akzeptiert, wenn alte Männer viel jüngere Frauen haben. Fanny Wilton sagt: „Ich kann das Glück doch nicht einfach wegschicken, nur weil es so spät gekommen ist.” Und wenn eine Hildegard Schmahl einen so tollen Satz spricht ... Fanny Wilton kann Sachen wie ihre Ehe abhaken und hinter sich lassen. Borkman schließt nie etwas ab – das ist auch seine Tragödie.

Er glaubt ja bis zuletzt an sein Comeback.

Ich denke aber, er weiß am Ende genau, dass er sein Ziel nicht mehr erreichen wird. Das kann man auch an der Syntax ablesen, wenn er in der Vergangenheitsform sagt: „Ich liebte euch.” Mit der Befreiung kommt auch die Einsicht.

Kammerspiele, heute und 18. Feb., 19.30 Uhr, Tel.233 966 00

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