Kapitalismuskritik zu Festspielpreisen

Kent Nagano, das Mahler Chamber Orchestra und der Regisseur Schorsch Kamerun vergeigen Leonard Bernsteins "Trouble in Tahiti" im Cuvilliéstheater
von  Abendzeitung

Kent Nagano, das Mahler Chamber Orchestra und der Regisseur Schorsch Kamerun vergeigen Leonard Bernsteins "Trouble in Tahiti" im Cuvilliéstheater

Leicht möchte der Abend sein. Bleischwer lastet er aber im Cuvilliés-Theater. Kent Nagano müsste seit „Idomeneo“ diese trockene Akustikfalle kennen. Aber das Mahler Chamber Orchestra lärmte unter seinen Händen grob, als würde statt Schubiduh eine Symphonie seines Namenspatrons exekutiert.

In „Trouble in Tahiti“ brodelt ein Ehedrama hinter der lächelnden Fassade. Dieser Reiz geht flöten, wenn die Musik nicht leichthin schwebt. Die 15 Musiker im Graben nahmen kaum Rücksicht auf Beth Clayton (Dinah) und Rod Gilfry (Sam). Der Dirigent raubte durch zähes Tempo der schlichten Melodie beim Psychiater ihre letzte Eleganz.

Wohlfeil

Leider nagte ein halbes Jahrhundert an Bernsteins Kleinbürgerstory: Wer sich heute anödet wie dieses Paar, sucht Rat beim Scheidungsanwalt. Schorsch Kamerun ahnte das: Mit laut aufgedrehter Verstärkung sang er einen zeitgenössischen Prolog, den David Coleman im gewürzten Bernstein-Stil vertont hatte.

Dessen Text stammte laut Programmzettel von den Goldenen Zitronen, Angeschissen, F.S.K. und Tolerantes Brandenburg. So cool, provokativ und systemkritisch wie diese Namen war die ganze Regie des zur Staatstheaterbetriebsnudel aufgestiegenen Ex-Punkers. Bei Premierenpreisen bis zu 165 Euro ließ man sich eine Prise moralisierende Kapitalismuskritik gern gefallen.

Netter Luftballonhut

Um nur ja nicht zu langweilen, entfaltete Kamerun in seiner ersten Opernregie viel Budenzauber mit einem grünen Dinosaurier sowie aufgeblasenen Doubles der weitgehend sich selbst überlassenen Protagonisten. An die Vergänglichkeit des Fleisches gemahnten braungebrannte US-Rentner, die auf ihren T-Shirts jugendliche Körper zur Schau trugen. Auch der Luftballon-Hut des weiblichen Clowns war wirklich nett.

Bernsteins Oper passt konzeptionell gut zu Richard Jones’ Kleinbürger-„Lohengrin“. Leider hatte Kamerun jedoch nicht das Format, seinen Sam am Ende noch ein paar Gummihäschen oder wenigstens drei Clowns abmurksen zu lassen. Uninszeniert glotzte der arme Mann zum offenen Ende ins romantische Rokoko. Mit dieser rundum desolaten Aufführung hat sich die Bayerische Staatsoper die Goldene Zitrone der Festspiele errungen.

Robert Braunmüller

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