Kampf um die Wahrheit
Die AZ ging mit Teilnehmern der Nanga-Parbat- Expedition von 1970 ins Kino, um sich Vilsmaiers Film über die Messner-Brüder anzuschauen
Nein, dieser Kinobesuch hat den gestandenen Herren keinen besonderen Spass gemacht. Schon während des Vilsmaier-Films "Nanga Parbat" schütteln sie häufig die Häupter, nach dem Abspann sind sie erst einmal sprachlos. Schliesslich waren Gerhard Baur, Günther Kroh und Jürgen Winkler selbst Teilnehmer der Nanga-Parbat-Expedition 1970, bei der Günther Messner auf ungeklärte Weise den Tod fand, nachdem er mit seinem Bruder Reinhold den Gipfel erreicht hatte.
Später, in einer Münchner Gastwirtschaft, stösst noch das damalige Expeditionsmitglied Max von Kienlin dazu, der den Film schon kennt und sich nicht ein zweites Mal ärgern wollte. "Was wir gesehen haben ist die Odyssee, und Vilsmaier ist die Circe, die uns in Schweine verwandelt hat", sagt er und lacht herzhaft über sein Bonmot. Gerhard Baur formuliert es sachlicher: "Der Film ist die Inszenierung eines Wettkampfes zum Gipfel, eine erfundene Geschichte voller grober Unterstellungen."
Es ist der Hauptvorwurf der damaligen Teilnehmer, dass der Film durch das Einblenden von Daten und Uhrzeiten Authentizität für sich beanspruche, dann aber völlig ins Fiktive abgleite. "Er stellt die Lüge auf die Säulen der Wahrheit", sagt von Kienlin.
So ein Schwachsinn
Und natürlich sind sie masslos enttäuscht, dass ihre längst verstorbenen Kameraden Peter Scholz und Felix Kuen, die einen Tag nach den Messners den Gipfel erreichten, so extrem negativ dargestellt werden. Als Egoisten, die auf Reinholds Hilferufe abweisend reagieren und "Gipfelsieger", die sich darüber Freude, dass die Messners beim Abstieg ins Diamirtal, wo keine Hochlager und Weggefährten warteten, wohl den sicheren Tod finden werden. "So ein Schwachsinn. In seinem Tagebuch hat Kuen seine Hoffnung niedergeschrieben, dass den Messners nichts zustossen möge", sagt Winkler.
Aber eigentlich sind alle vier den Kampf gegen Reinhold Messners Version der Expedition ziemlich leid. Damals haben sie mit ihm getrauert, keiner der 16 anderen Expeditionsteilnehmer hat in irgendeiner Form Reinhold Messner eine Mitschuld am Tod des Bruders gegeben. Erst als Messner drei Jahrzehnte nach den Vorfällen, im Oktober 2001, die Mannschaft angriff und ihr unterstellte, nicht geholfen zu haben, war es mit der Solidarität vorbei.
Hans Saler und Max von Kienlin schrieben Bücher zum Thema und wiesen auf die häufigen Widersprüche Messners hin, den medialen Kampf gegen den längst zur Legende gewordenen Extrembergsteiger hatten sie aber von Anfang an verloren. "Wenn ich tausend Leute erreiche, war der Messner schon wieder in drei Talkshows", sagt Baur. "Aber im Grunde genommen ist es bedeutungslos, das perlt an mir ab."
Tote können sich nicht mehr wehren
Heute nimmt er noch einmal an einer Pressekonferenz der Herrligkoffer-Stiftung teil (benannt nach dem damaligen Expeditionsleiter), aber auch nur, weil die verstorbenen Kameraden und Herrligkoffer selbst sich nicht mehr wehren können. Dann ist für Baur das Thema vorbei. Wer an der Wahrheit interessiert sei, der könne sie ja nachlesen, lautet das Credo der vier. Aber an Reinhold Messners Ego abarbeiten, möchten sie sich nicht mehr.
Dabei erheitert sie der Film auch bisweilen. So wenn Reinhold Messner bei der Anreise in Pakistan Senator Burda beim Abendessen verbal um den Finger wickelt und die finanziell wacklige Expedition rettet. "Wir waren doch dabei", sagt Jürgen Winkler. "Der Reinhold hat damals am Tisch nicht mehr oder weniger geredet als wir alle anderen auch." "Aber wenn er sich so sieht", ergänzt Baur süffisant, "dann gönne ich ihm das auch." Immerhin enthält die Szene ja einen prophetischen Kern: Nach 1970 gelang es (fast) keinem Bergsteiger mehr, Reinhold Messner rhetorisch zu bezwingen.
Volker Isfort