Judiths letztes Hemd
Gereift und der deutschen Szene ein Stück entwachsen: „Bring mich nach Hause“ – Wir sind Helden veröffentlichen ihr viertes Album und trauen sich den Blick in die Dunkelheit
Sie wollten „Guten Tag, guten Tag“, ihr Leben zurück. Im Gefolge dieser hibbeligen Neo-NDW-Nummer schwamm die deutsche Szene mit ihren weiblichen Sängerinnen an die Oberfläche. Man kann Wir sind Helden nicht dafür verantwortlich machen, dass wir mit Bands wie MIA. und Juli leben mussten. Aber die Masse des Belanglosen spülte auch ihre Musik langsam weg. „Bring mich nach Hause“ heißt das neue Helden-Album. Dunkel ist es, lässt die Unsicherheit zu. Und bringt gerade durch die Verweigerung die Band ein großes Stück nach vorne.
„Wer A sagt, muss auch B sagen / nach dem ganzen ABC fragen“ – manchmal fragt man sich, ob etwas weniger Begeisterung für die eigene Wortspielerei die Texte nicht intensiver gemacht hätte. Der Hang zum Binnenreim lässt es da doch gewaltig sinnfrei klingeln: „Und vielleicht da ein neuer, / bescheuerter, scheuerer, / wenig geheuerer Traum.“
Sensibles Gespür
Groß, weil absurd brutal hingegen so ein Songtitel: „Meine Freundin war im Koma und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T-Shirt“. Zum Tupfen des Klaviers, nicht mehr, erzählt Judith Holofernes mit ihrer brechenden Mädchenstimme vom Ende, überlegt, ob sie auf das letzte Hemd doch noch Taschen näht. Die Sängerin lässt die Angst herein. Findet für ihr Verhältnis wenige Worte, bis zum finalen „Du nicht du nicht du nicht du nicht nicht du“. Das ergreift. Und Wir sind Helden trauen sich auch einen Ausstieg aus der Platte mit fast nur auf E-Gitarre und Gesang reduziertem Existenzialismus: „Nichts, was wir tun könnten“.
Durch „Kreise“ klingt der Gestus der Beatles-Nummer „Tomorrow Never Knows“, und wenn es zum Gitarrensolo geht und die schamanische Perkussion loslegt, sind wir bei Keith Richards in „Sympathy For The Devil“. Das aber ist nicht stumpf zitiert, sondern mit einem so sensiblen Gespür zusammengedacht, dass dieser Song zum treibendsten des Albums wird.
Einen völlig anderen Blick auf die Lieder lässt die nur wenig teurere Deluxe-Ausgabe des Albums mit einer zusätzlichen CD werfen. Das komplette Album ist hier noch einmal in einer akustischen Version eingespielt. Mit Akkordeon und Mandoline mag man sich beispielsweise bei „Bring mich nach Hause“, das zuerst den dezenten Dancefloor-Touch hat und dann einen leicht anarchischen Balkan-Touch, nicht entscheiden, welche Version charmanter ist.
Christian Jooß
Wir sind Helden: „Bring mich nach Hause“ (Columbia)
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