„Jud Süß": Prominenz von Goebbels’ Gnaden

Perfider Humor, pralles Kino: Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“
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Perfider Humor, pralles Kino: Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“

Hohe Erwartungen, wieder mal. Als dritten deutschen Wettbewerbsbeitrag der 60. Berlinale zeigte Oskar Roehler „Jud Süß – Film ohne Gewissen“. Der eigenwillige Regisseur („Elementarteilchen“) hat sich erneut eines heiklen Sujets angenommen: Der Geschichte des berüchtigtsten Nazi-Propagandafilms der Judenverfolgung: „Jud Süß“ von Veit Harlan, uraufgeführt 1940 in Venedig.

Bei Roehler liegt das Augenmerk auf dem von NS-Propagandaminister Goebbels (Moritz Bleibtreu) in die Titelrolle gedrängten Österreicher Ferdinand Marian (Tobias Moretti). Und er selbst hat die Messlatte hochgelegt: Seit Szabós „Mephisto“ vor mehr als 30 Jahren (mit Klaus Maria Brandauer als Gustaf Gründgens) habe es keinen solchen Film mehr gegeben über die Verführbarkeit durch Macht. Dieser Vergleich war ungeschickt.

Aber die Vorwürfe des Medienwissenschaftlers Friedrich Knilli, Roehler habe „Geschichtsfälschung und Legendenbildung“ betrieben, weil die Figur des Marian „unnötig heroisiert“ sei, kann der Zuschauer getrost vergessen. Nein, Marians Frau war keine Jüdin, er hat auch keine Juden gerettet, war wohl wirklich eher depressiv und alkohol-zerrüttet als schuldgeplagt, als er gesehen hat, was „Jud Süß“ angerichtet hatte.

Aber der stets risikofreudige Roehler hat eben kein Biopic und keine Historiendoku gedreht. Hier geht es um Kino – saftiges, pralles, rückhaltlos unterhaltsames Kintopp. Ein echter Roehler-Film mit einem grandiosen Schauspieler-Team (allen voran Tobias Moretti und Moritz Bleibtreu), perfidem Humor, deftigem Sarkasmus und emotionaler Dichte in den stillen, gefährlichen Szenen.

Die Umstände von Marians Tod wurden niemals geklärt. 1946 verunglückte er tödlich im Auto. Roehler hat die Selbstmord-Variante gewählt. Auch das gehört zur Freiheit des Cinéasten. Wunderbar sind alle Szenen um die opportunistische Künstler-Prominenz von Goebbels’ Gnaden. Ja, man darf Komödien über die Nazis und Hitler machen, das haben einige deutsche Filmemacher in den letzten Jahren bewiesen.

Die Buhs und die latent aggressive Atmosphäre durch Betroffenheits-Dogmatiker auf der Pressekonferenz hat Oskar Roehler nicht verdient.

Angie Dullinger

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