John Irving entdeckt die Bisexualität

In seinem neuen Roman "In einer Person" erzählt der Bestsellerautor von sexueller Identitätsfindung, Vorurteilen und der (mangelnden) Toleranz der Gesellschaft
Volker Isfort |
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Ja, es geht wieder ums Ringen, Schreiben, um Theater und Sex - und natürlich gibt es auch Bären (wenn auch als Zweibeiner). Doch so bekannt die Bestandteile eines John-Irving-Romans auch sind, so überraschend ist bisweilen die Umsetzung.

"In einer Person", der neue Roman des im März 70. Jahre alt gewordenen Autors ist sicherlich ein Höhepunkt in Irvings Spätwerk. Aus gutem Grund: Der Bestseller-Autor hat den Roman, der von den Wirren der sexuellen Orientierung und Intoleranz erzählt, für seinen homosexuellen Sohn geschrieben. "'Garp' ist für meine beiden älteren Söhne geschrieben", sagte Irving dem "Focus", "'In einer Person' für meinen jüngeren Sohn Everett, der demnächst 21 wird."

Als er im Sommer 2009 angefangen habe, an dem Text zu arbeiten, habe Everett sein Coming-out gehabt. "Es ist merkwürdig, da trug ich so lange die Idee für dieses Buch über die Schwierigkeiten eines bisexuellen Jungen mit mir herum, und in dem Moment, in dem ich zu schreiben beginne, vertraut mein Sohn mir an, dass er schwul ist", sagte Irving. "Vielleicht liebe ich ihn noch mehr als vorher, weil ich mir mehr Sorgen um ihn mache oder das Gefühl habe, dass ich ihn beschützen muss - und sei es mit einem Roman."

Auch der junge William (Bill) Abbot, Held dieses wüsten Abenteuers, hat eine Beschützerin. Es ist die ledige Kleinstadtbibliothekarin Miss Frost, die ihn mit den richtigen Büchern versorgt, auch wenn das Bills pubertäre Verwirrung eher anfacht: Er ist vernarrt in die kleinen Brüste der Bibliothekarin, liebt verschämt seinen Stiefvater, schläft im BH seiner eher platonischen Freundin Elaine und schwärmt für den besten Schulringer.

Die Möglichkeit zum Ausleben zwiespältigster Identitäten gibt es im Provinzmief von First Sister, Vermont, Mitte der 50er Jahre allenfalls im Schultheater, wo bei den Besetzungen die Geschlechter nicht unbedingt das wichtigste Kriterium sind, vor allem nicht bei William Shakespeare. So ist auch das titelgebende Zitat von William Shakespeare (aus "König Richard II.") und lautet in voller Länge: "So spiele ich in einer Person viele Menschen und keiner ist zufrieden."

Ein wunderbares Motto um Bill (der mit John Irving das Geburtsjahr 1942 teilt) ein verwickeltes, vergnügliches - und bei Irving natürlich seitenlang explizit geschildertes - bisexuelles Leben entfalten zu lassen. Von den verwirrenden Anfängen in First Sister, über Europa hinein nach New York und San Francisco - von den dumpfen Anfeindungen, in die vorsichtige Toleranz, die Aids-Katastrophe. Bewundernswert, wie der Autor gekonnt die Stimmungen wechselt: Sarkasmus und absurde Komik, aber auch melancholische Momente durchziehen den mit literarischen Anspielungen gespickten Roman - vor allem aber gelingt es Irving, Mitgefühl für seine Figuren zu erzeugen. So ist William Abbot sicherlich der faszinierendste Held im Irving'schen Spätwerk geworden. 

John Irving: "In einer Person" (Diogenes, 724 Seiten, 24.90 Euro)

 

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