Jesus tanzt auf unserer Party
Von Krankheit keine Spur: Depeche Mode mit dem wundersam genesenen Dave Gaham integrieren die Gitarre weiter in ihre melancholische Klangwelt und rocken das Olympiastadion
Es begann etwas mühsam, doch dann wurde der Abend doch noch zur großen Party: Depeche Mode, die neben U2 und den Pet Shop Boys einzig verbliebene Popsupergroup der 80er Jahre, brachte mit einer vor allem dramaturgisch perfekten Show das Olympiastadion zum Singen und Tanzen.
Die erste Frage an diesem warmen Münchner Sommerabend war jedoch: Wie geht es Sänger Dave Gahan? Er war vor einigen Wochen wegen eines Tumors an der Blase operiert worden, viele Konzerte der Tour mussten storniert werden. Doch nun: Von Krankheit keine Spur, es muss eine gar wundersame Heilung gegeben haben.
Ein Auferstandener, ein Rocker und ein stilles Genie
60000 in der nicht ganz ausverkauften Arena hörten zunächst eine Reihe von Songs aus dem neuen Album „Sounds Of The Universe“; man startete den Abend mit „In Chains“ und „Wrong“. Das war in den guten Momenten berückend chillig, in den schwächeren etwas konturlos. Auch der Sound litt zunächst unter dem harten Echo des Olympiadaches, wurde dann aber im Laufe des Abends deutlich besser.
Gahan, der immer wieder Auferstandene, drehte ab „A Question Of Time“ seine Pirouetten mit dem Mikroständer wie eh und je. Gitarrist Martin Gore gab meist den hart in die Saiten schlagenden Rocker, Andrew Fletcher das stille Genie in seinem Maschinenpark im Hintergrund. So arbeitete man sich zunächst etwas verbissen durch die unterschiedlichsten Phasen der Depeche-Mode-Geschichte, bis nach einer guten Stunde mit „Policy Of Truth“ das Konzert endlich zur ausgelassenen, euphorischen Feier werden konnte: „Enjoy The Silence“ (was für ein Aufschrei der Fans, als die Melodie erkennbar wurde), „Never Let Me Down Again“ (als Party-Stampfer), „Master And Servant“ (in einer hochinteressanten Hardcore-Techno-Version) und schließlich „Personal Jesus“. Da röhrte Gores Klampfe und die Arena sang wie aus einer Kehle. Vermisst wurde nur „A Question Of Lust“, das eigentlich zum Programm der Tour gehört.
Von eigenem künstlerischen Wert war auch die visuelle Begleitung: Licht und Video (auf allerdings etwas kleinen Screens) verstärkten die Wirkung der „Lieder mit Trauerrand“ („FAZ“): Traumhafte, verrätselte Kunst-Welten mit meist einsamen Wesen in großen, hellen Räumen. Nur bei „Peace“, das Atombombe gegen Friedensdemo stellte, lief die Band Gefahr, die Doppelbödigkeit des Songs mit dem Kitsch der taktgenau rhythmisierten Filmchens zu überlagern.
An der Nahtstelle der Popgeschichte
Am Erstaunlichsten neben der herrlichen Sogwirkung ihrer Melancholie-Melodien ist aber, zu sehen und zu hören, wie Depeche Mode inzwischen genau die Mitte zwischen den einst regelrecht verfeindeten Fraktionen von synthetischem Pop und pentatonischen Blues besetzten.
Die Band, die angetreten war, um mit Keyboards und Musikmaschinen den Gitarrenrock zu begraben, hat längst alles Verbotene absorbiert, vom Blues über den Rock bis zum Hardrock. Live spielen sie mit zusätzlichem (analogen) Schlagzeug – und sind doch bei sich geblieben. Gerade „Personal Jesus“ ist so eine Nahtstelle der Popgeschichte, weshalb Johnny Cash den Song nicht nur covern, sondern ihnen regelrecht wegnehmen und zu seinem eigenen machen konnte – wie einst Jimi Hendrix mit „All Along The Watchtower“ von Bob Dylan.
Depeche Modes Musik dreht sich um Sehnsucht, Trauer, Einsamkeit, Vertrauen und Enttäuschung – und gerade im Stadion ist es wunderbar zu erleben, wie sich subjektive Schwermut zur kollektiven Euphorie wandeln kann. Wenn es dann noch so rockt wie die erste Zugabe „Stripped“, ist die Party nicht mehr zu stoppen. Nach einer so gewaltigen Steigerung in insgesamt zwei Stunden braucht es unbedingt den schlumpfigen Gute-Nacht-Song „Waiting For The Night“, damit alle brav und sehr zufrieden nach Hause gehen.
Michael Grill
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