Intrigen und Macht
Er speiste mit König Ludwig XV., ging bei der Pompadour ein und aus, begegnete Marie Antoinette und Benjamin Franklin: Herzog Emmanuel von Croÿ (1718-1784), ranghoher Militär und vielseitig interessierter Beobachter, hinterließ bei seinem Tod 42 Bände handschriftliche Aufzeichnungen. Sein Tagebuch ist eine Schatz, den nun der Münchner Autor Hans Pleschinski für eine breite Öffentlichkeit gehoben hat. Als Experte für das 18. Jahrhundert — Pleschinski übersetzte bereits eine Auswahl aus dem Briefwechsel zwischen Voltaire und Friedrich dem Großen, ebenso die Briefe der Madame de Pompadour — sichtete er das gesamte Material und siebte allzu genaue Schilderungen über französische Verwaltung oder höfische Intrigen hinaus. Geblieben ist mit „Nie war es herrlicher zu leben” ein über 400 Seiten starker, praller „Roman” eines Lebens im 18. Jahrhundert, der ein spannendes kulturelles und politisches Porträt einer Epoche abgibt.
Köln - ein tristes großes Kaff
Da Croÿs Familie französisch-deutschen Ursprungs ist, führen ihn seine zahllosen Reisen auch auf die andere Seite der Grenze: Nach Köln („ein tristes großes Kaff”) oder Mainz: „Es heißt, hier spreche man das beste Deutsch und trinke den besten Rheinwein, und man trinkt beängstigend viel davon.”
1742 beobachtet er in Mainz die Wahl des Bayerischen Kurfürsten zum Kaiser, aber viel Glanz hat das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen nicht zu bieten: Kaum hat er mit seiner Kutsche „all die miserablen Straßen Deutschlands” hinter sich gebracht, führt ihn „eine herrliche Chaussee” zurück nach Paris und Versailles, das eigentliche Zentrum der Macht, Intrigen und der seltsamen Zeremonien: Nach einem Bankett nimmt der Herzog von Croÿ mit anderen Adeligen an der öffentlichen Abendtoilette der Dauphine und des Dauphin teil: „Nachdem beide ins Bett geschlüpft waren, wurden die Vorhänge wieder geöffnet, und alle Anwesenden betrachteten beide eine Weile: ein arg peinsames Ritual, das alles Unbehagliche am Gepränge der Könige und Großen vor Augen führt.”
Die Ballung des Adels in Versailles – nebst Begleiterscheinungen wie Wohnungsnot und Kutschenstau – hat ihren Grund: „Unausweichliche Existenzgefechte” nennt Pleschinski in einem kurzen Zwischentext den Kampf des Adels um Einfluss bei Hofe, das unentwegte Antichambrieren, das Warten auf das erlösende „Bon” des Königs.
Nichts geht ohne die Pompadour
Die seitenlangen Versuche von Croÿs, die eigene Karriere voranzutreiben und die Kinder aussichtsreich zu vermählen, sind fast ein Komödienstoff. Und nichts geht ohne die Pompadour, die fast 20 Jahre die Mätresse Ludwig XV. war. So notiert der Herzog folgerichtig bei ihrem Tod am 15. April 1764: „So endete eine der längsten Herrschaften, die man je erlebt hatte. Wahrscheinlich gab es keine Ernennung und keinen Gnadenbeweis, die nicht durch die zustande gekommen waren.”
Das einfache Volk kommt in Cröys Aufzeichnungen eher am Rande vor und bis zur „Kornrevolte” (1773), als ein paar hundert Bauern den Markt in Versailles stürmen, um billiges Brot zu bekommen, gibt es nicht einen Hauch von revolutionärer Stimmung.
Einen beklemmenden Eindruck von der Gewalt des Staates aber liefert Croÿs Schilderung einer Hinrichtung. Der Attentäter, der Ludwig XV. ein Messer in die Seite gerammt hat (der König überlebt), wird in Paris öffentlich gevierteilt. Ein Schauspiel, das sich über Stunden hinzieht, bis den erschöpften Pferden mit Schwerthieben Beistand geleistet werden muss. Kein skandinavischer Krimiautor könnte den Herzog in seiner nüchternen Genauigkeit an Spannung übertreffen.
Zu gerne hätte man gewusst, wie Croÿ die Revolutionszeiten geschildert hätte, der Herzog aber starb leider fünf Jahre zuvor. Immerhin: Dass seine private Chronik, angelegt, „meinen Nachfahren Wissenswertes zu überliefern, mich selbst daran zu erfreuen und im Alter an die Ereignisse meines Lebens zurückzudenken”, nun als Buch vorliegt, ist ein großes Geschenk für den Leser.
Hans Pleschinski stellt „Nie war es herrlicher zu leben” (C.H. Beck, 428 Seiten, 24.95 Euro) 22. Juli 2011 um 19.30 Uhr in der Buchhandlung Literatur Moths vor (Rumfordstraße 48, Tel. 29 16 13 26)