Intergalaktisches Monster

Zwischen Fantasy und Science Fiction – Iron Maidens neues Album „The Final Frontier“ist nicht nur, aberauch ein Werk für Heavy-Metal-Nerds
von  Abendzeitung

Zwischen Fantasy und Science Fiction – Iron Maidens neues Album „The Final Frontier“ist nicht nur, aberauch ein Werk für Heavy-Metal-Nerds

Ihre Headbangerhaare trotzen der Mode. In Wacken wurden sie in diesem Sommer von 75000 Fans gefeiert. „The Final Frontier“ heißt ihr neues Album. Aber auch nach dem Überschreiten der letzten Grenze scheint nur immer neues Land vor ihnen zu liegen. Nach 35 Jahren und der rauen Zeit der 90er, in denen der harte Rock erfolgreich im Untergrund und nicht von Iron Maiden verlötet wurde, stehen die Sechs da wie ein frischpolierter Rennwagen.

Gleich der erste Song verschiebt die Grenzen ins Unendliche. Eddie, das monsterige Bandmaskottchen, ohne das ein Iron-Maiden-Plattencover keines wäre, ist jetzt im Orbit und verfolgt einen unschuldigen Astronauten. Zumindest im zu „Satellite 15... The Final Frontier“ gehörenden Video. Sänger Bruce Dickinson tremoliert sich mit Gewalt, durch die postapokalyptisch verhallte Welt intergalaktischer Riffs fantasiert eine Geschichte, wie sie so ähnlich schon David Bowies Major Tom erlebt hat. Aber während Major Tom, vom Ground Control entkoppelt, mit demütig sedierter Ruhe der Ewigkeit entgegenschwebt, galoppiert dieser Sternensucher zum typischen Maiden-Beat durchs Nichts. Und so wie Eddie zwar auf jeder Platte in anderen Mutationen erscheinen darf, ist der Maiden-Metal auch in neuen Welten eben immer der alte.

Mehr System als Band

Wie es sich für ein tüchtig überforderndes Album einer Band gehört, die deswegen aus der New Wave of British Heavy Metal übrig geblieben ist, weil sie die Regeln des progressiven Sounds mitgeprägt hat, ist die Space-Fantasie nur ein Mosaikstein dieser Platte. Im Weiteren geht es nach Avalon, ins Mythenreich Britanniens. In „The Alchemist“ interessiert man sich für Edward Kelly, einen obskuren Renaissance-Alchemisten. Und ist es im folkloristischen „The Talisman“ nicht ein kurzes Stück Gedankenweg vom Aufbruch des Weltraumfahrers ins Ungewisse des Orbits zum Ablegen der Schiffe, die englische Aussiedler in die neue Welt brachten? Iron Maiden sind weniger eine Band, als ein System, das sich mit seiner Science-Fiction-Komplexität prima zur Weltflucht anbietet.

„El Dorado“ wird zum Abstecher in die Realität genutzt, um die Gier unserer verdorbenen Zeit mit emphatischen Riffs zu geißeln. Als wäre er König Herodes in „Jesus Christ Superstar“, spielt Dickinson mit dem Gestus eines Musical-Darstellers hier den kapitalistischen Miesling – Heavy Metal als letzter Hort des Ehrenwerten.

Auch „The Final Frontier“ ist natürlich eine Platte für Metal-Nerds, die Zeit haben, sich durch Literatur und Filme nach Songverweisen zu graben. Und die am Ende des Albums bei einer Metal-Ballade landen, die in über zehn Minuten den englischen Zeichentrickfilm „When the Wind Blows“ über das Sterben nach der Atombombe nacherzählt. Dass diese ganzen, konsequent überambitionierten Welten auf einen Sound gelagert sind, der mit drei Gitarren so gewaltig wie eingängig ist, das gibt ihnen zwar immer noch keinen wirklich logischen Zusammenhang, aber eine verblüffende Überzeugungskraft.

Christian Jooß

Iron Maiden: „The Final Frontier“ (EMI)

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