Inspiration mit Rose
Aus Paul Potts wird zwar kein grosser Sänger mehr, aber der britische Laien-Tenor beherrscht beim ausverkauften Konzert in der Philharmonie zumindest die grossen Gesten.
Millionen können nicht irren: Die Geschichte vom schiefzähnigen Aschenputtel rührt jedes Herz. Mit der Tenormacho-Hymne "Nessun dorma" bezauberte Paul Potts 2007 die skeptisch blickenden Juroren der Castingshow "Britain's Got Talent". Durch das massenhaft gesehene Video und die anschliessende Verwendung des Finales in der Fernsehwerbung wurde der Handyverkäufer zum Inbegriff des Mythos' "Du kannst es schaffen, wenn Du nur willst".
Aber nicht einmal das finsterste Provinztheater würde ihn für eine Hauptrolle von Verdi oder Puccini nehmen. Trotz langjähriger Kirchenchor-Erfahrung und einem Meisterkurs bei Katia Ricciarelli ist seine Gesangstechnik kurios, das Gefühl für Rhythmus unterentwickelt. Und nur der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass Operntenöre normalerweise ohne Verstärkung singen.
Potts ist echt, und das nimmt für ihn ein
Der Entertainer wiegt auf, was den Gesangs-Connaisseur verstimmen könnte. Potts wischt sich mit einem Handtuch Schweiss von der Stirn, braucht Wasser, Tee oder den Duft einer Rose als Erfrischung zwischendurch. Er vermittelt, dass Kunst für jedermann zwar erreichbar, aber zugleich harte Arbeit ist. Mit ihrer perfekten Musical-Stimme wirkte seine Bühnenpartnerin Elizabeth Marvelly neben diesem ungeschliffenen Kieselstein wie Modeschmuck aus Plastik.
Potts menschelt. Man fühlt: Der Mann ist echt. Er hat seine Bodenhaftung behalten und scheut sich nicht, einen Mikrofonständer persönlich wegzutragen. Das alles mildert den unsäglichen Eindruck seines zweiten Albums "Passione" zu einem Abend herzblütig empfundener Unterhaltung.
Stehende Ovationen
Weil elegisches Pathos seiner Stimme am besten liegt, war das von den 13 verstärkten Musikern begleitete Programm etwas einseitig. Wo es auf Gegensätze ankäme wie beim "Eiskalten Händchen" aus Puccinis "La Boheme", gerät Potts stimmlich an seine Grenzen. Aber so lange das Video in der Erinnerung haftet, wird dieses Phänomen uns erhalten bleiben.
Am Ende natürlich "Nessun dorma" und stehende Ovationen in der ausverkauften Philharmonie.
Robert Braunmüller
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