In Schleifen gedacht
Schauspieler retten die sperrige Uraufführung eines sperrigen Texts: Elfriede Jelineks „Winterreise“ an den Kammerspielen
Kein Lindenbaum weit und breit, nicht einmal vor dem Tore. Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ ist für das gleichnamige Textkonvolut von Elfriede Jelinek, wie von ihr erwartet, mehr atmosphärische Anregung aus weit entlegenem Steinbruch als Spielvorlage für die Bühne.
Die Lieder sind längst so etwas wie Folklore, hinter der aber das genussvoll selbstzerstörerische Lebensgefühl der Romantik lauert: Das tiefe Empfinden umfassender Einsamkeit, des Irre-Gehens, der Vergeblichkeit des Lebensweges und die ständige Nähe seines Endes – „fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“, und nach einem Frühling vergebens versprochener Liebe „ist die Welt so trübe, der Weg gehüllt in Schnee“.
Das zumindest nimmt Johan Simons in seiner Uraufführungs-Inszenierung an den Kammerspielen wörtlich: Hinter dem Eisernen Vorhang tobt ein Schneesturm, von dessen mächtigen Böen selbst weiter hinter sitzendes Publikum erfasst wird, wenn die Schauspieler die Türe öffnen, um sich mit letzter Kraft im Zuschauerraum vor der entfesselten Natur in Sicherheit zu bringen. Das Grüppchen im Trockenen ist zunächst eine Hochzeitsgesellschaft, die die Vermählung der Alpe-Adria-Bank mit Bayern feiert.
Privates von der Autorin und vom Regisseur
Stefan Hunstein spielt mit weiß-blauer Schärpe den völlig überforderten Freistaat als Bräutigam, Benny Claessens das Geldinstitut als Braut in Schwarz und bestens gelauntem Wonneproppen. Doch so raffiniert Jelineks Texte instrumentalisiert und rhythmisiert wirken, so wenig gelingt ihr offenbar leicht gemeintes Polit-Brettl: Zum Bankenskandal hat man auf Kabarettbühnen Treffsichereres gehört ohne laue Wortspielereien rund um die „Stiftung“, in der man keinen Stift hat, sich selbst was stiftet und dann stiften geht.
Der nächste Themenblock ist dichter und weitgehend ohne Humorversuche. Der Entführungsfall Natascha Kampusch, der vor fünf Jahren weit über Österreich hinaus für Erschütterung sorgte, lässt das Opfer (Kristof van Boven) auf die Öffentlichkeit treffen, unter die sich auch Jelinek (Wiebke Puls) und ihre Mutter (Hildegard Schmahl) mischen. Aber die Öffentlichkeit ist nach erstem Nervenkitzel satt, denn „wir brauchen keine Opfer“. Dann wird die Autorin privat: Puls und Schmahl interpretieren Jelineks Tochter-Mutter-Problem.
Des alzheimerkranken Vaters gedenkt André Jung im anschließenden Monolog. Wer sich unterdessen über den holzschuhtanzenden Jungen (Katja Herbers) wundert, gehört nicht zu den wahrhaft Eingeweihten: Der Niederländer Johan Simons arbeitet hier seinen eigenen Vater-Sohn-Konflikt ab.
Die Schauspieler lohnen
Gerade weil ein fast einstündiger Monolog am Ende einer dreieinhalbstündigen Vorstellung ungeschickt ist, ist André Jung so wertvoll wie selten. In den Schleifen und Denkabbrüchen des verloren gehenden Bewusstseins, wo sich auch Jelinek und ihr Schreiben am nächsten finden, reißt Jung in aller Stille hellwache Aufmerksamkeit auf sich.
So sind es letztlich nur bedingt der Text und ihre betont sperrige Inszenierung als Abfolge langer Selbstgespräche, die das Mitfahren bei dieser „Winterreise“ lohnen, sondern ausschließlich die glorreichen Sieben auf der Bühne, begleitet von Jan Czajkowski am Klavier mit einigen dürren Takten Schubert.
Mathias Hejny
Kammerspiele, 7., 9., 18., 23., 28. 2., 19.30 Uhr, Tel. 23396600
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