In der Familienhölle
Sonntag Premiere im Cuvilliés Theater: Antoine Uitdehaag inszeniert „Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard mit Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher und Stefan Hunstein
Einfach nach seinen Wunschschauspielern benannte Thomas Bernhard seine Untergangskomödie „Ritter, Dene, Voss“. Die Uraufführung, die Claus Peymann 1986 in Salzburg inszenierte, wurde Kult. Sie lief jahrelang an der Wiener Burg und wurde 2004 in der Originalbesetzung am Berliner Ensemble wieder aufgenommen. Nun inszeniert der Niederländer Antoine Uitdehaag das Stück über drei in Hassliebe verstrickte Geschwister im Cuvilliés Theater. Stefan Hunstein spielt den verrückten Philosophen Ludwig, Ulrike Willenbacher die ältere, ihn bemutternde Schwester, Barbara Melzl die jüngere Schwester.
AZ: Herr Uitdehaag, ist der Uraufführungs-Ruhm dieses Stückes eine Belastung?
ANTOINE UITDEHAAG: Für mich persönlich nicht. Natürlich sind Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss für mich bekannte Schauspieler. In Holland sind sie das nicht, und da wird das Stück häufig gespielt, ohne Belastung durch die Namen. Für die Schauspieler ist das etwas anderes, zumal es um lebende, berühmte Kollegen geht. Aber Thomas Bernhard hat ja dem Stück diesen Titel gegeben, um Claus Peymann seine Wunschbesetzung aufzuzwingen. Und 95 Prozent der heutigen Theater-Besucher haben die Peymann-Inszenierung nicht gesehen. Es führt zu nichts, sich über die Köpfe des Publikums hinweg mit der Aufführung von damals auseinanderzusetzen. Ich will das Stück für das Publikum erzählen.
Die Figur des Ludwig Worringer hat Ihre Vorbilder in dem Wiener Philosophen Ludwig Wittgenstein und dessen manisch-depressivem Neffen Paul, mit dem Thomas Bernhard befreundet war. Muss das der Zuschauer wissen?
Nein. Für die Schauspieler kann dieses Wissen schon wichtig und inspirierend sein. Wir haben uns bei den Proben ausführlich mit Schopenhauer und Wittgenstein auseinandergesetzt, aber für das Publikum ist das nicht nötig. Es erfährt, dass es um einen Mann an der Grenze zwischen Genialität und Wahnsinn geht.
Die ältere Schwester hat Ludwig aus der Psychiatrie nach Hause geholt, in eine Familienhölle voller Hassliebe.
Ludwig sagt, als er auf die Bilder der Vorfahren schaut: „Alles widerliche Menschen, von welchen wir alles haben.“ Ein grausamer Satz, aber einer der Kernsätze. Lebenslänglich kämpft man, um sich aus dem Gefängnis zu befreien, das Familie heißt. Wo du herkommst, bestimmt dein Leben. Das ist ein existenzielles Thema. Bernhard führt das ziemlich weit. Die „Worringer-Hölle“ erinnert an Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Die drei Geschwister sind in Gefahr, in dieser Hölle unterzugehen. Sie hassen sich so sehr und kommen doch nicht voneinander weg. Ludwig ist der Einzige, der das klar sieht und raus will. Er will in die Anstalt zurück, denn in der Familie hat sich nichts geändert.
Die drei Worringers sind schwerreiche Nichtstuer.
Sie haben zuviel Geld, das ist ihr großes Problem. Sie haben nie im Leben etwas tun oder sich mit etwas auseinandersetzen müssen, da entsteht entsetzliche Langeweile. Geld kann auch eine Hölle sein. Die Wittgensteins waren Anfang des 20. Jahrhunderts die drittreichste Familie in Europa. Wittgensteins Schwestern haben sich in der Nazi-Zeit freigekauft, um nicht emigrieren zu müssen. Ludwig war damals schon im Ausland. Vielleicht hat das Bernhard zu diesem Trio infernale inspiriert, in dem Ludwig als Einziger versucht, sich frei zu denken.
Im Stück hat Dene als Dessert Brandteigkrapfen gemacht. Da würgt man an dem Wort fast schon wie Ludwig beim Essen. Was ist das eigentlich?
Brandteigkrapfen sind Windbeutel. Ein wunderbares Wort, aber leider auch in Österreich schon fast ausgestorben. Bernhard war ein wunderbarer Sprachautor.
Sie leben in Rotterdam, sind aber fast ständig unterwegs. In München inszenieren Sie seit 1997 bei Dieter Dorn.
In den letzten Jahren habe ich viel am Volkstheater Wien inszeniert und in Berlin. Dreiviertel meiner Arbeiten mache ich im deutschsprachigen Raum, aber ich inszeniere regelmäßig auch in Holland. Ich genieße es, immer mal wieder in einer anderen Stadt und unter anderen Leuten zu sein. So ein Nomadenleben ist abwechslungsreich, immer wieder neu und frisch, das gefällt mir gut.
Gabriella Lorenz
Cuvilliés Theater, Sonntag,19 Uhr, Tel.21851940