Im Wirbel der Meersau

Mit possierlichen Tierchen und überdimensionalen Schokoladentafeln wurde Cornelius Völker bekannt – in der Villa Stuck ist der Maler jetzt in einer umwerfenden Werkschau zu erleben
Christa Sigg |
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Cornelius Völker ist ein freundlicher Mensch. Höflich zurückhaltend, Teetrinker halt und mit einem Faible für leicht antiquierte Tweedanzüge. In einer Bibliothek, irgendwo auf den britischen Inseln, würde er kaum auffallen. Wenn er aber neben seinen überdimensionalen Schokoladentafeln steht, vor den matschigen Himbeeren oder die ganz aktuelle Serie von Pistolen-Bildern kommentiert – „mich hat gereizt, mal nicht politically correct zu sein“ – wirkt der 45-Jährige wie ein Fremdkörper in der eigenen Ausstellung. In der Villa Stuck ist dem Künstler jetzt eine beeindruckende Werkschau mit Arbeiten der letzen zwanzig Jahre gewidmet.


Ein Kosmos für Farb-Freaks, ein Parcours für Liebhaber subversiver Spielereien, ein Vergnügungspark für Kunstkenner tut sich auf. Denn was sich auf den ersten Blick ziemlich banal und oft genug auch plakativ gibt, wuchert dann doch mit Hintersinn und offenen wie versteckten Raffinessen. Da hat einer die Kunstgeschichte durchgefieselt und sich lustvoll bedient. In den oft großformatigen Bildern finden sich Anspielungen auf Tizian und Velázquez, auf Courbet und besonders Manet, auf Chaim Soutines Schlachthausfleischlichkeiten und natürlich auch auf Francis Bacons sezierte Leiber. Völker begegnet den Kollegen durchaus mit Bewunderung, aber auch mit einem Augenzwinkern. Und einer köstlichen Ironie.

Lippen, Unterhosen und oszillierende Farbinseln

Wie die „Alten“ drängt es ihn nach der formalen wie farblichen Bewältigung eines Themas. Das können knallrot dralle Lippen sein, die sich unter gefährlichen Nasenlöchern lasziv öffnen, oder die von einem Schwimmer bewegte Wasseroberfläche. Auch aus den Fugen geratene Männerbäuche, die die Dehnbarkeit der guten alten Feinrippunterhemden herausfordern, oder Pullover, die in einem Kraftakt über den Körper gezerrt werden. Und Hände! Sie ballen sich neben Röcken aus oszillierenden Farbinseln oder greifen bedächtig an eine Nase, wühlen sich durch ein Stück Stoff, zupfen Unterhosen zurecht. Ganz normaler Alltag eben, Momentaufnahmen.


Dazu kommen wenig repräsentative Details und Objekte: ein Abfluss, der zum Strudel ins Ungewisse mutiert, benutzte Tampons, ein Bauchnabel, Teebeutel – aber auch im pastosen Pinselduktus noch exakt abgezirkelt – schütteres Haar und immer wieder Fell. Das hat die Maler von jeher fasziniert, und Völker dekliniert alle nur denkbaren Möglichkeiten durch. An Hunden etwa. Und vor allem an seinen Meerschweinchen. Als Kind besaß der Künstler aus dem fränkischen Kronach ganze Horden dieser possierlichen Tierchen. Ein prägendes Erlebnis? Durch Völker sind die fortpflanzungsfreudigen Nager überhaupt erst in der Kunst aufgetaucht. Und ja, sie haben ihn auf amüsante Weise bekannt gemacht.

Zu viel Malerei!

Aber Geschichten, die mit diesen Sujets verbunden sein könnten, interessieren ihn nicht, Psychologie mindestens so wenig. Wenn durch die Bilder im Betrachter etwas in Gang kommt, sich ein Plot abspult, ist das nicht beabsichtigt, sagt er. Politische Kunst, die Verarbeitung von Tagesaktuellem, womöglich mit erhobenem Zeigefinger, findet er peinlich. Und man glaubt es dem Malereiprofessor der Kunstakademie Münster aufs Wort. Auch Bedeutungsschwangeres, das die Gemälde Neo Rauchs durchzieht, ist seine Sache nicht. Allerdings würde ihm das nie über die Lippen kommen.

Mit einer gewissen Diskretion erzählt Völker, dass seine Bilder Frieder Burda angeboten wurden – der dankend ablehnte. Geschmackssache, sicher. Das eigentlich Interessante war allerdings die Begründung des Kunstsammlers: Zu viel Malerei! Und damit traf Burda den Nagel auf den Kopf. Völkers Arbeiten zielen weit über ihre Objekte hinaus, auch wenn diese noch so sehr im Hier und Jetzt verankert sind, manchmal sogar Gefahr laufen, den Zeitgeist zu bedienen. Vielmehr kreist diese Kunst um die traditionellen Themen der Malerei. Klar, das sich so einer auch mit den vermaledeiten Händen auseinander setzt. Da geht’s ans Eingemachte. Und damit ist Cornelius Völker neben all den trendigen Realisten ein erfrischend unkonventioneller Einzelkämpfer. Ach was, ein wunderbarer Solitär.

„Cornelius Völker. 1900-2010“, bis 8. Mai, Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein opulenter Katalog im Verlag Schirmer/Mosel erschienen (49,80 Euro)

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