Im Sand der Erinnerung
Vater, Mutter, Kind – Familienalbum: Im Jüdischen Museum zeigen israelische Fotokünstler ihre nächsten Verwandten. Auf intime, schräge, amüsante, manchmal auch beklemmende Weise
Durchs Foyer strömt der Duft von frischgebackenen Croissants. Verführerisch riecht das, nach Zeit und einem ausladenden Frühstück am Wochenende. Mit der Familie. Ganz unbewusst liefert die Café-Crew im Jüdischen Museum damit die ideale Einstimmung auf die Ausstellung weiter oben. Frei nach Marcel Proust könnte man sagen, denn es geht um „Family Files“, Familienakten oder besser: Familienalben.
Siebzehn israelische Künstler setzen sich hier mit ihrer Familie auseinander. Mit bemutternden Müttern und zweifelnden Vätern, mit kichernden Schwestern und quäksenden Babys, gähnenden Tanten und eingeschlafenen Großvätern. Tatsächlich würden die meisten dieser Fotos eher nicht im Familienalbum landen. Das macht den manchmal sehr schrägen Reiz dieser Sammlung aus. Zu viel geben diese Verwandten von sich preis, bis auf die nackte Haut, die Äderchen, die Lebensmale, die ganz intimen Momente, die sonst keine fremden Blicke dulden.
Tragikomisch kann das sein, wie bei Tal Shochat (Foto links). Sie hat Angst, dass ihre Mutter irgendwann verschwinden könnte, wie das im endlichen Leben nun mal so ist. Also versucht die Tochter, dieses symbiotische Verhältnis festzuhalten, die unterschiedlichen Formen ihrer Weiblichkeit fast magisch zu beschwören – um gleich neben der Frau mit den üppigen Formen im Urlaubssand der Erinnerungen zu versinken.
Der Morgen, an dem sein Sohn in die Armee eingetreten ist, stellt für Reli Avrahami eine Zäsur dar, die er mit einer unaufgeräumten Rekrutenstube kommentiert. Ein paar Fotos weiter geht seine Mutter Zvia auf Spurensuche in den Niederlanden, wo das Pensionszimmer eben mal zum Behelfsfriseursalon mutiert. Banalitäten, sicher, aber sie erzählen mehr als die hübsch frisierten Reihen einer Familienfeier.
Deutlicher, beklemmender wird dieses Finden von Spuren bei der Künstlerin Vardi Kahana, die ihre Mutter Rivka und deren Schwestern eng aneinandergeschmiegt fotografiert. Eindringlich dunkel sind die drei Augenpaare, die Gesichter spulen die Zeit ab, dann fällt der Blick auf die Unterarme. Immer noch gut lesbar sind die Nummern A-7760 bis 7762, das A steht für Auschwitz.
Familien pflegen ihre Traumata und ihre Traditionen, die Geheimnisse und die Spleens. Da mögen die Gräuel des Krieges hineinspielen, wie das Gewusel auf den Straßen. Politik, Emanzipation, Karriere und Katastrophen. Diese ganz speziellen Bande bleiben, ob man sie nun kultiviert oder zu ignorieren versucht. Davon erzählen diese „Family Files“, die im Zeitalter endloser Digicam-Schnappschüsse schon wieder etwas Anrührendes haben. Und da blättert man dann doch wie in einem alten Familienalbum. Christa Sigg
Bis 12. September, Di – So 10 bis 18 Uhr, Katalog 24.90 Euro
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