Im Rachen der Tigerstädte
MÜNCHEN - Wie haben sich Städte über die Jahre entwickelt? Die Ausstelllung „Multiple City“ in der Pinakothek der Moderne zeigt ein Panoptikum des Scheiterns - und das zum 100. Geburtstag des TU-Lehrstuhls für Städtebau.
Paris 9,9, Istanbul 10,1, Kairo 11,9, Shanghai 15, Mumbai und Mexico City jeweils 19 Millionen Einwohner im Jahr 2007 – Tendenz weiter steigend. Bereits die Hälfte der Weltbevölkerung wohnt in den Städten bzw. Metropolregionen, in denen Stadt und Suburbia zu einer Soße verschwimmen; Megalopolis ist Zufluchtsort und Schreckens-Szenario, Glücksverheißung und Elendshölle.
Von geordneter Stadtplanung kann im globalen Moloch, wenn man von den geklonten Gated Communities der Superreichen absieht, nicht mehr die Rede sein. So gesehen, schenkt sich der Lehrstuhl für Städtebau an der TU zum 100. Geburtstag mit der Ausstellung „Multiple City“ in der Pinakothek der Moderne eine Chronik des eigenen Scheiterns in 16 Kapiteln. Nicht der TU im Besonderen, sondern des Städtebaus im Allgemeinen. „Der Markt treibt die Entwicklung an, wir hecheln mit den Analysen hinterher“, beschreibt Lehrstuhlinhaberin Sophie Wolfrum etwa die Hilflosigkeit der Planer angesichts des Phänomens von Luxus-Quartieren internationaler Immobilieninvestoren, die zwischen Dubai, Florida und der Costa Blanca die immergleichen Toskana-Villen, Fincas und Retro-Schlösschen abwerfen.
Theodor Fischer entwarf 1896 den Baulinienplan für München
Dass die besseren Ideen der Städtebauer nicht immer im Himmel über der Wüste verpufften, zeigt der Blick auf verschiedene Konzepte der letzten hundert Jahre: Auf Theodor Fischers bis heute respektierten Baulinienplan für München von 1896, Muratoris sensible Aufzeichnung der Textur von Rom (1963) oder Lucio Costas erstmals gezeigter Original-Masterplan für den Retorten-Regierungssitz Brasilia. Aber es finden sich auch gigantomanische Utopien: Le Corbusiers „Ville Contemporaine“ mit Hochhäusern für drei Millionen Bewohner (1922) und Frank Lloyd Wrights flächen- und benzinfressende „Living City“ (1958), in der jeder Familie ein Haus, ein Auto und ein Acre Grund (4000 Quadratmeter) zugeteilt worden wäre.
Ihnen gegenüber stehen aktuelle Fotos aus den Tigerstädten. Leider ist die thematische Gliederung oft nicht einleuchtend: Anstatt reale Entwicklungen anhand prägnanter Einzelbeispiele aufzuzeigen, beschränkt sich die Schau darauf, ein plakatives Patchwork zu präsentieren. Die schrumpfende Stadt bleibt außen vor, das Prinzip der Verslumung wird beiläufig gestreift, anstatt es zu untersuchen. Eins wird angesichts der touristisch-bunten Bilder dennoch deutlich: Die Wirklichkeit ist schlimmer als die monströsesten Visionen.
Roberta De Righi
Die Ausstellung ist bis 1. März 2009 in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Öffnungszeiten: Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 39 Euro.
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