Im höllenheißen Paradies
Wie der Flaneur unversehens zum Hochzeitsredner avancierte
Vor ein paar Tagen ging ich in Schwabing die Mandlstraße entlang, wo Münchens schmuckstes Standesamt steht. Es ist bei Brautpaaren besonders beliebt, weil man vor dem Säulenportal feudale Fotos machen kann. Eine Hochzeitsgesellschaft hatte die Trauung offenbar gerade hinter sich und posierte am Eingang. Einer von ihnen knipste und bat die Leute vergeblich, sich nach seinen Vorstellungen hinzustellen und sich nicht gegenseitig zu verdecken.
Bräute, sofern sie nicht durch pompöse weiße Kleider und Schleier verunstaltet sind, sehen oft entzückend aus. Sie funkeln und strahlen und leuchten, dass man schlagartig die vielen schaurigen Ehedramen vergisst, die einem auf der Bühne, im Kino oder in der grausamen Wirklichkeit vorgespielt werden. Diese Braut glühte besonders glücklich, als sei die Ehe der Himmel auf Erden.
Ich blieb stehen und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Kann sein, dass mein Lächeln geradezu verklärt wirkte. Sie winkte mir übermütig zu, nein, sie winkte mich herbei. Der fotografierende Bruder sollte mit auf dem Bild sein, ob ich ein Foto von ihnen allen machen könne. Sie reichte mir eine idiotensichere kleine Digitalkamera, und ich tat mein Bestes. Da ich ein Fremder war, wurde meinen Anweisungen willig gefolgt. Ich kam mit den Brautleuten und ihren Freunden ins Gespräch.
Anschließend würden die knapp zwei Dutzend Hochzeitsgäste auf eine Wiese in den nahen Englischen Garten pilgern. Ein kleines Picknick sei vorbereitet. Ich sei eingeladen. Vielleicht könne ich ein paar Worte sagen. Keiner von diesen Versagerfreunden sei in der Lage oder willens, eine Rede halten. Zu einer Hochzeit gehört doch eine Hochzeitsrede.
„Bitte“, sagte die Braut. Einer Frau mit einem solchen Augenaufschlag konnte ich den Wunsch nicht abschlagen. Auch hatte ich Lust auf Käse und Wein und geschnorrte Zigaretten.
Das Paar hatte sich in der Sauna kennengelernt. Nicht so mein Ding, Sauna, nicht sehr romantisch. Aber sie machte mir die Rede leicht: In der Sauna ist man ungeniert unbekleidet – wie sonst nur wo: im Paradies. Kleine Erinnerung an Adam und Eva: „Sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und sie schämten sich nicht.“
Die Vertreibung aus dem Paradies gilt als Trauerspiel. Folge des angeblichen Sündenfalls. Ein Wunder, dass die Kirche den Gläubigen das Verzehren von Äpfeln erlaubt. Wo doch mit einem Apfel alles Elend begann. Schuld und Verdammnis. Verführung durch das teuflische Weib. Auf diesem lustfeindlichen Märchen beruht das Christentum. Alles falsch. Die Sauna zeigt gleichnishaft die Wahrheit: Die Vertreibung ist schon nach einer Viertelstunde die reinste Erlösung. Das Paradies ab und zu schön und gut, wenn man es okay findet, dort freiwillig im Schweiße seines Angesichtes vor sich hinzuschmoren. Aber länger als ein paar Minuten ist es auch für die hartgesottensten Besucher nicht auszuhalten.
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